Wer wen?

"The world’s most powerful man - der mächtigste Mann der Welt". Nein, gemeint ist nicht Donald Trump. Die internationale Wirtschaftszeitschrift "The Economist" widmet dem alten und neuen Vorsitzenden der KP Chinas, Xi Jinping, die Titelseite und die Hauptstory ihrer jüngsten Ausgabe.

Wer oder was verleiht ihm die Aura eines "Supermannes"? Da gibt es unübersehbare harte Fakten: Größte politische Partei der Welt (fast 90 Millionen Mitglieder), Land mit der größten Bevölkerungszahl (1,4 Milliarden), dynamischste Volkswirtschaft, erfolgreiche Modernisierung der Streitkräfte, Ausübung einer perfekt wirkenden Hegemonie über moderne Massenmedien. Aber auch: Land mit der entschiedensten Bekämpfung von Korruption bis in die höchsten Etagen von Partei- und Staatsapparat.

China hält alle möglichen wirtschaftlichen Spitzenrekorde. Der begehrte Titel "Exportweltmeister" ist nur einer unter vielen. Selbst bürgerliche Medien kommen bei der Auflistung von Rekorden im Bereich der Ökonomie, Architektur, Stadtentwicklung, der Modernisierung der Energie- und Wasserwirtschaft, der aktiven Klimapolitik, der Weltraumforschung etc. nicht aus dem Staunen heraus. Größte, höchste und längste Brücken, schnellste Züge, geringste Armutsraten im Vergleich mit anderen "Schwellenländern". Und nun auch der bevorstehende Übergang zur Technologieweltmacht Nr. 1. Das sind solide Fundamente der Macht.

Ich erinnere mich an die Parteitage der späten 60er und 70er Jahre (8., 9., 10. Parteitag). Die Zeit vor und während der "Kulturrevolution". Damals herrschte die Farbe blau vor - das Millionenheer der in Arbeitskitteln Gekleideten. "Dem Volke dienen" - so lautete die alles bestimmende politische Forderung. Vieles hat sich seither gewandelt. Doch diese Formel gilt auch heute. Dass das seit 1949 sich "im Anfangsstadium des Sozialismus" entwickelnde China aber einmal das Land mit den meisten Milliardären werden würde lag absolut jenseits aller noch so verrückten Zukunftsphantasien.

Aber der so völlig unprätentiöse, in seiner Ruhe und Schlichtheit fast schon langweilig wirkende dreistündige Rechenschaftsbericht des ZK, vorgetragen von Xi Jinping, machte eines klar: diese wie eine hochdisziplinierte Armee angetretene politische Formation der chinesischen Kommunistinnen und Kommunisten wird sich nicht aufhalten lassen.

Was ist das Wesen des vom 19. Parteitag bekräftigten Weges zu einem "Sozialismus chinesischer Prägung"? China hat den Hunger als Massenproblem beseitigt und ist dabei, sich als eine Gesellschaft "bescheidenen Wohlstands" ökonomisch zu stabilisieren. Als sich noch immer als "Entwicklungsland" verstehender Staat ist China zugleich das stärkste sozialistische Land der Erde. Es hat dafür viel Lehrgeld entrichtet. Es gab und gibt Widersprüche, die nicht nur mir ein Rätsel sind. Aber China unterstützt und beeinflusst in wachsendem Maße die ökonomische und übrige gesellschaftliche Entwicklung in großen Gebieten der Erde. Es bildet ein wirtschaftliches, politisches und militärisches Gegengewicht zu den mächtigen ökonomischen Zentren des Imperialismus. China ist auf dem Weg auch zu einer kulturellen Großmacht. Es ediert, was wir zu oft übersehen, wie kein zweites Land die Schriften von Marx, Engels, Lenin und der internationalen kommunistischen und Arbeiterparteien.

Ich wünsche mir und den chinesischen Kommunisten, dass die Basis dieser beeindruckenden Entwicklung und die Garanten für die Verwirklichung der ehrgeizigen Ziele des 19. Parteitags eine Arbeiterklasse und übrige werktätige Bevölkerung sind und bleiben, die als eine durch, mit und um die KP herum gescharte soziale und politische Hegemonialkraft den Weg ihres Landes bestimmt.

Ich wünsche mir den klaren Blick dafür, dass es eine unwiderlegte Gesetzmäßigkeit der Geschichte gibt: Auf Dauer behält nur diejenige soziale Klasse auch die politische, militärische, kulturelle und ideologische Hegemonie, die die reale Macht und Kontrolle über die entscheidenden Produktionsmittel besitzt. Die Annahme, dass die Macht der Millionäre und Milliardäre sich auf Dauer nur mit dem Gebiet der Ökonomie zufrieden gibt und gar mit der Arbeiterklasse und den Bauern auf Dauer ein gemeinsames "sozialistisches Projekt" verfolgt, wäre meines Erachtens eine gefährliche Illusion.

Autor: Hans-Peter Brenner (Stellvertretender Vorsitzender der DKP)