Der Koreakrieg - eine folgenschwere Plakataktion in Darmstadt-Arheilgen

Vorwort

Am 25. Juni 1950 begann der Koreakrieg, der sich zwar weit im Osten abspielte, aber dessen Auswirkungen politisch und wirtschaftlich die ganze Welt beeinflussten. Besonders verhängnisvoll war die Entscheidung des Weltsicherheitsrates, Nordkorea zu verurteilen und Unotruppen, die hauptsächlich aus amerikanischen Kontingenten bestanden, in den Konflikt eingreifen zu lassen. Zwangsläufig verschärfte sich der nach dem 2. Weltkrieg vorherrschende Kalte Krieg, der auch für das Nachbarschaftsverhältnis zwischen der Bundesrepublik und der DDR nachhaltige Folgen hatte.

Es war vorauszusehen, dass die berufsmäßigen Antikommunisten verstärkt ihre Hilfstruppen mobilisieren würden, um mit allen Mitteln propagandistisch, auch mit Hilfe polizeilicher Repressionen, die sich zur Wehr setzenden linken Gruppen in die Defensive zu drängen. Die Bundesregierung unter Adenauer betrieb mit großer Energie die Abgrenzungsstrategie vom anderen sozialistischen Staat. Dieser mit großem demagogischen und finanziellen Aufwand betriebenen Kampagne musste begegnet werden.

Dieser Aufgabe widmete sich von Anfang an die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Sie bemühte sich um die Aufklärung der Hintergründe dieses Krieges und machte auf die unausbleiblichen Folgen aufmerksam. Ihre Mitglieder nutzten alle gebotenen Möglichkeiten, wie öffentliche Versammlungen und Kundgebungen, sie verteilten außerdem aufklärende Flugschriften, besonders vor Betrieben, und warnten mit Plakaten vor den Gefahren eines neuen Krieges. Die Gegenseite reagierte wie gewohnt mit falschen Informationen in der ihr hörigen Presse, dem Rundfunk und gefälschten Geheimdienstberichten.

Dieser Kampagne konnte nur mit einer überzeugenden schlagkräftigen Parole begegnet werden, die eine unmissverständliche Forderung enthielt. Die Plakate mit dem Text "Korea den Koreanern, Deutschland den Deutschen, Ami go home" fanden die Zustimmung der Mitglieder, die sich bereit erklärten, diese an geeigneten Flächen anzubringen. Das war die Vorgeschichte, aus der sich eine Reihe von Ereignissen entwickelte, die für die Betroffenen unangenehme Folgen hatten.

Eine missglückte Plakataktion

Als Verantwortlicher für die Parteiorganisation im Stadtteil Darmstadt-Arheilgen wählte ich die zuverlässigsten Funktionäre für diese heikle Aufgabe aus. Außerdem wurden sie informiert, dass Polizei und Kripo ihre Überwachungsaktion intensivierte und deshalb erhöhte Aufmerksamkeit und Vorsicht zu beachten seien. Es wurden drei Klebekolonnen gebildet: ein erfahrener siebzigjähriger Genosse, im Nazireich zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt, übernahm den östlichen und nördlichen Stadtteil. Den südlichen Bereich übernahmen ein zweiundfünfzig- und ein zweiunddreißigjähriger Genosse, die beide bei der Firma Merck beschäftigt waren. Im westlichen Stadtteil war ich mit einem sechsundsechzigjährigen Genossen als Aufpasser tätig. Die Aktion fand in einer Nacht am Anfang des Jahres 1951 statt und endete in unserem Bereich mit einem Fiasko.

Mein Helfer und ich konnten einen nur teilweisen Erfolg verbuchen, denn die ständige Polizeipräsenz behinderte erheblich unsere Aktivitäten. Außerdem muss ich eingestehen, dass nur ich selbst meine eigenen Warnungen beachtete. Den allein handelnden Genossen (es war sein eigener Entschluss) überraschte ein Streife gehender Polizist. Er stand auf einer Mauer, von der aus er eine Scheunenwand beklebte und nicht schnell genug herunterklettern konnte. Die beiden bei der selben Firma beschäftigten Genossen führten ein intensives Gespräch, sodass sie den ihren Spuren folgenden Kripobeamten nicht bemerkten.

Dieser in Arheilgen wohnhafte Kriminalist war ein führendes SPD-Mitglied, seit 1945 im Amt, und hatte sich mehrfach bei antikommunistischen Aktionen ausgezeichnet. Er versprach hoch und heilig, dass keine Anzeige erfolge, aber die Pflicht als Beamter ließe ihm keine andere Wahl, als die Plakate zu konfiszieren. Auch der uniformierte Polizist hatte mit dem gleichen Versprechen den alten Genossen zur Herausgabe seiner restlichen Plakate bewogen. Dass diese Plakate zu einem wichtigen Indiz in einem US-Militärgerichtsverfahren wurden, war nicht vorhersehbar.

Die Verhaftung

Mit großer Sorge beobachtete ich den weiteren Verlauf, denn im Kreis und Bezirk wurden ähnliche vergleichbare Zwischenfälle nicht registriert. Zweifelsfrei bewiesen die verstärkten Kontrollen von Polizei und Kripo, dass gerade unsere Aktivitäten im Stadtteil Arheilgen einen noch nicht erkennbaren Zweck verfolgten. Die befürchtete Überraschung ließ nicht lange auf sich warten: am nächsten Tag holten Polizisten die beiden Genossen zu einem Verhör an ihrem Arbeitsplatz ab. Auch der Rentner blieb nicht ungeschoren. Nur der alte Genosse, seit Gründung der KPD Mitglied und ich, seit 1930 in der KPD, waren der Auffassung, dass mit den polizeilichen Vernehmungen die Angelegenheit nicht zu Ende sei.

Wie recht wir hatten, bewiesen die nächsten Tage. Die drei Betroffenen wurden verhaftet und in das Darmstädter Untersuchungsgefängnis eingeliefert. Die weiteren Vernehmungen leiteten US-Gerichtsoffiziere, die auch die Anklage für ein Militärtribunal vorbereiteten. Dieser aufgezwungene Umstand verlangte sofortiges Reagieren, denn umgehend mussten die notwendigen Schritte, die den Prozess betrafen, eingeleitet werden. Die schwierigste Aufgabe war zweifellos, die Frauen der Inhaftierten ausreichend zu unterstützen und zu betreuen. Die Frau des Rentners nahm die Nachricht von der Verhaftung gelassen auf. Nachdem ich auch die Frage beantwortet hatte, warum ich verschont geblieben war, schimpfte sie lautstark "muss der alte Narr immer dabei sein, soll er auch sehen, wie er damit fertig wird." Das hat sie dann doch nicht getan, sondern hat sich intensiv während seiner Haftzeit um ihn gekümmert.

Die beiden jüngeren Frauen wollten ebenfalls die Gründe wissen, warum ich einer Verhaftung entgangen war. Meine ihnen vermittelten Kenntnisse reichten aus, um ihr Vertrauen zu gewinnen, denn das war die Voraussetzung, um gemeinsam den uns aufgezwungenen Herausforderungen begegnen zu können. Ein Problem, das vor allen anderen Vorrang hatte, war der Erhalt der Arbeitsplätze, auch für den Fall einer Verurteilung und längeren Haftdauer. Das forderte ein Agieren auf mehreren Ebenen. Eine bot sich mir an: als Stadtverordneter der KPD leitete ich den Sportausschuss, in dem der Betriebsratsvorsitzende der betreffenden Firma Sitz und Stimme hatte. Ohne zu zögern bot er seine Hilfe an und konnte auch eine Mehrheit gewinnen, die sich für den Erhalt der Arbeitsplätze ihrer Kollegen einsetzten, denn beide übten Funktionen in ihrer Gewerkschaft aus. Der ältere war selbst Betriebsratsmitglied, der jüngere hatte die Akademie der Arbeit absolviert.

Ihre Frauen blieben ebenfalls nicht untätig und suchten die Personalabteilung mehrfach auf, um auf ihre unverschuldete Notlage aufmerksam zu machen. Diese gemeinsamen Bemühungen führten zum Erfolg, und das wirkte sich positiv auf die Stimmungslage aller Beteiligten aus. Außerdem entstand durch die Denunziation des Kripobeamten ein Solidarisierungseffekt, dem sich auch viele SPD-Mitglieder nicht entziehen konnten, denn offensichtlich bestätigte sich der Verdacht, dass nur die Arheilger Genossen sich vor einem US-Militärgericht verantworten mussten.

Die Prozessvorbereitungen

Für alle Beteiligten überraschend, forderte das Gericht ca. eine Woche nach der Inhaftierung die Angeklagten und ihre Verteidiger auf, im Göbelhaus Mornewegstraße zur Verhandlung zu erscheinen. Dieser Termin fand auch statt, blieb aber ohne Ergebnis, denn wir konnten in der Eile keinen Verteidiger verpflichten.

Das Gericht entschied daraufhin, in einer Woche endgültig zu verhandeln mit oder ohne Verteidiger. Außerdem forderte es für die Aufhebung der Haft eine Kaution, deren Höhe unbezahlbar war. Die beiden Verhandlungstage ermöglichten erstmals persönliche Kontakte mit den Angeklagten. Den alten Genossen begrüßten die Wärter, die sich an ihn erinnerten, mit den Worten "ist es wieder soweit, dass man Euch einsperrt?".

Die beiden anderen Genossen wurden von einem Arbeitskollegen, der wegen einer damals noch strafbaren Handlung auf seinen Gerichtstermin wartete, in seiner Zelle mit Kaffee und Kuchen bewirtet. Mit einiger Gelassenheit sahen die Angeklagten und ihre Angehörigen dem Prozess entgegen. Jetzt war die vordringlichste Aufgabe, innerhalb einer Woche einen Verteidiger zu finden.

Die Darmstädter Rechtsanwälte, die ich mit einer der Frauen aufsuchte, wollten oder konnten nicht und entschuldigten sich mit Terminschwierigkeiten. Auch war nicht jeder für die anwaltliche Vertretung von Kommunisten geeignet. Mit Hilfe der Bezirksleitung der KPD gelang es mir, den Frankfurter Rechtsanwalt Dr. Valentin Herkert (er war KPD-Mitglied und Staatssekretär in der ersten hessischen Regierung) zu gewinnen.

Die Militärgerichtsverhandlung

Die Prozessordnung entsprach dem amerikanischen Recht, die Verhandlungssprache war englisch. Eine Dolmetscherin übersetzte in die deutsche Sprache. Die Anklagevertreter stützten sich auf das Besatzungsstatut und beantragten über die folgenden Hauptvorwürfe zu verhandeln: Widerstand gegen die Besatzungsmacht und Verächtlichmachung ihrer Beauftragten.

Als Belastungsmaterial dienten die beschlagnahmten Plakate und die Zeugenaussage des schon erwähnten Kripobeamten. Seine Vernehmung, in der die Details der Beschlagnahme zur Sprache kamen, nützten die Anklage und das Gericht zusätzlich als Begründung der Verhandlung. Am Schluss seiner Vernehmung leistete er den verlangten Eid mit der Schlussformel "So wahr mir Gott helfe", obwohl mir und vielen im Verhandlungssaal bekannt war, dass er der Kirche nicht mehr angehörte.

Es blieb unverständlich, dass ein Mitbürger sich ohne zwingenden Grund zum Gehilfen einer Militärjustiz herabließ und sein Versprechen brach, keine Anzeige zu erstatten. Außerdem handelte es sich bei den Beschuldigten um Mitbürger, die sich auch außerhalb ihrer Partei in Vereinen, im Betrieb und in Gewerkschaften engagierten und Anerkennung erworben hatten.

Der Verlauf der Verhandlung, die einen Tag beanspruchte, machte klar, dass es zu einer Verurteilung kommen würde, denn der amerikanische Richter machte aus seiner antikommunistischen Einstellung keinen Hehl. Trotzdem gelang es dem Verteidiger durch Zitate aus amerikanischen Verfassungsartikeln, einige Anklagepunkte zu entschärfen.

Es überraschte keinen der Beteiligten, Angeklagte und, Zuhörer, dass am Ende der Verhandlung eine Verurteilung erfolgte. Der alte Genosse wurde zu drei Monaten Gefängnis verurteilt, die beiden anderen zu vier Monaten. Die Gefängnishaft mussten sie in der hessischen Strafanstalt Butzbach verbringen.

Nach der Verlegung nach Butzbach mussten Aktivitäten entwickelt werden, die dieser Situation gerecht wurden. Der alte Genosse verursachte nur geringe Probleme. Er und seine Familie konnten aufgrund ihrer Erfahrungen ohne unsere Hilfe auskommen. Wesentlich schwieriger hatte sich die Lage der beiden jüngeren Genossen und ihrer Frauen gestaltet. Sie mussten eine Situation bewältigen, auf die sie nicht vorbereitet waren.

Den Gefängnisalltag konnten wir von außen nicht beeinflussen, deshalb war es unerlässlich, den Frauen und ihren Familien das Bewusstsein zu vermitteln, dass sie im Bedarfsfall auf Hilfe rechnen konnten. Selbstverständlich mussten auch die familiären und freundschaftlichen Verbindungen erhalten werden. Als hilfreich erwiesen sich ebenso die zahlreichen Solidaritätsbekundungen.

Der Überstellung in das Butzbacher Gefängnis folgten sofort Anträge für die Besuchserlaubnis, denen nach ca. vier bis sechs Wochen entsprochen wurde. Zum vereinbarten Termin fuhren wir mit dem Auto der KPD-Kreisleitung, einem Opel P4, mit mir am Steuer und drei Frauen nach dem sechzig Kilometer entfernten Butzbach.

In dieser Stadt amtierte Ludwig Weidig als Pfarrer, den Georg Büchner, Student im benachbarten Gießen, wegen des gemeinsamen Widerstands gegen die großherzoglichen Repressionen regelmäßig besuchte. Zusammen verfassten sie 1834 den Hessischen Landboten mit der aufrüttelnden Überschrift "Friede den Hütten, Krieg den Palästen!"

Die Mängel des Fahrzeugs verursachten Verzögerungen und Ungeduld bei den Mitfahrerinnen. Ein Bußgeldbescheid wegen zu hoher Geschwindigkeit war nicht zu befürchten. Trotzdem gelang es mir, das Gefängnistor pünktlich zu erreichen. Nach der Anmeldung stand ein Wärter bereit, uns zu den Gefangenen zu bringen. Außerdem wurden wir begrüßt von dem zu drei Monaten verurteilten Genossen, der auf die Frage, warum er nicht hinter Gittern wäre, antwortete, er könne sich jeden Tag auf dem Gefängnisgelände frei bewegen.

Auch hier war er kein Unbekannter: das Archiv und einige Gefängnisbeamte erinnerten sich an ihn und wollten auch von ihm wissen, warum Kommunisten wieder eingesperrt würden. Die Hafterleichterung, die man ihm gewährte, können ohne Einschränkung als Sympathiebeweis seitens der Gefängnisleitung bewertet werden.

Als wir dem Wärter durch die endlosen Korridore folgten, begleitet von den Schließgeräuschen, um zu dem jüngsten unseres Besuchs zu gelangen, fiel mir eine Geschichte ein, die meinen alten Weggenossen betraf, den wir gerade verlassen hatten.

Die letzten Jahre seiner sechsjährigen Zuchthausstrafe musste er in Amberg (Oberpfalz) verbringen. In den von Nässe durchtränkten Torfmooren musste er mit anderen Leidensgenossen auch im Winter Torfballen stechen und verladen. Er sah voraus, dass sein geschwächter Körper diese kräftezehrende Schinderei nicht mehr lange aushalten würde.

Es gab nur eine Möglichkeit, am Leben zu bleiben, wenn er einige Wochen in der Krankenstation sich körperlich erholen könnte. In dieser Zwangslage fasste er einen riskanten Entschluss: in einem unbewachten Augenblick legte er seine Hand auf den Rand einer voll beladenen Kipplore, sodass der herabfallende Deckel die Finger und die Hand schwer verletzte.

Aus der durch den Schmerz verursachten Ohnmacht erwachte er nach der Aufnahme in der Krankenstation. Nach seiner festen Überzeugung, sicherte er mit dieser Verzweiflungstat sein Überleben. Nach dieser Rückbesinnung galt nun unser vordringliches Interesse den Begegnungen mit den inhaftierten Kameraden.

Nachzutragen ist, dass die Besuchergruppe aus drei Frauen und mir bestand, denn meine Frau hatte die Aufgabe übernommen, weiblichen Beistand zu leisten, wenn die Situation dies erforderte. Wir wurden ermahnt, uns nicht zu trennen, deshalb führte uns ein Wärter gemeinsam in einen Raum, in dem uns der jüngere Genosse mit seinem Wärter erwartete.

Nach der Begrüßung schilderte der Wärter die Haftbedingungen und das Befinden des Besuchten. Seine ständige Anwesenheit störte in erheblicher Weise unser Besuchsziel und das des Ehepaars. Nach einer Stunde übergaben wir die mitgebrachten Geschenke, um den nächsten Besuchstermin bei dem anderen Kameraden wahrzunehmen.

Begleitet von einem Wärter trafen wir diesen in einem größeren Raum, in dem sich nach der Begrüßung nach und nach auch andere Mitgefangene einfanden, die vorwiegend ihren Wohnsitz in Frankfurt hatten. In den anschließenden Gesprächen schilderten sie ihre Haftbedingungen und Privilegien, die auch unserem Genossen Vorteile brachten.

Bereitwillig und ohne Hemmungen informierten sie uns über ihre Haftstrafen, die alle Bereiche der gewerblichen Prostitution und Kuppelei erfassten. Sie wollten keinesfalls gewöhnliche Zuhälter sein, bezeichneten sich als seriöse Geschäftsleute und versuchten mit Umschreibungen ihren selbstgewählten Status zu beweisen. Aus Bordellen wurden Pensionen, Prostituierte arbeiteten vorwiegend als Stubenmädchen, aber in ihrer Branche seien auch Begriffe wie Reitställe und Reitpferde gebräuchlich. Diese Art von Enthüllungen lösten verständlicherweise zwiespältige Empfindungen bei den beiden betroffenen Ehefrauen aus.

Größeres Interesse fanden die Informationen über Hafterleichterungen, die Wirtschaftsstraftätern gewährt wurden. Die damals noch vorhandene Mangelwirtschaft förderte illegale Schiebereien und die daraus resultierende Korruption. Wir mussten die Erkenntnis mit nach Hause nehmen, dass im Gefängnis die gleichen Regeln galten wie in der Freiheit: wer Geld und Einfluss besitzt, lebt angenehmer.

Nachdem die mitgebrachten Geschenke (vorwiegend Zigaretten) die Besitzer gewechselt hatten, wurden wir verabschiedet. Im Vorbeigehen durften wir Einblick in eine komfortabel eingerichtete Zelle nehmen, die ein prominenter Frankfurter Wirtschaftsfunktionär, der wegen Zuckerschiebereien einsitzen musste, bewohnt hatte.

Am Tor erfuhren wir vom Pförtner, dass die Entlassung schon um 24 Uhr erfolgen könne, wenn die Abholung um diese Zeit gesichert sei. Selbstverständlich erklärte ich mich sofort bereit, diese Verpflichtung zu übernehmen. Die restlichen Wochen verliefen ohne Zwischenfälle, denn wie bei allen Gefangenen machte sich auch bei unseren Freunden und ihren Ehefrauen der Gewöhnungseffekt bemerkbar.

Besuche und Briefkontakte verliefen störungsfrei, und die Vorbereitungen auf den Tag, an dem sich die Gefängnistore öffneten, beherrschten ihre Gedanken. Der alte Genosse verließ nach drei Monaten Butzbach, verabschiedet von den Wärtern und der Gefängnisleitung mit dem Wunsch, ihn nie wieder aufnehmen zu müssen.

Er nahm sofort wieder an der politischen Arbeit seiner Partei teil bis zum Verbot 1956. Er starb am 22.12.1965. Die Trauerfeier, bei der ich seiner Verdienste gedachte, fand in Anwesenheit vieler Kameraden der Partei und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes statt.

Die Nacht, in der die beiden zu vier Monaten verurteilten Genossen entlassen wurden, gestaltete sich wie verabredet. Um eine pannenfreie Heimfahrt zu ermöglichen, bat ich einen befreundeten Autobesitzer, der einen neuen Wagen besaß, mit mir nach Butzbach zu fahren. Es war genau vierundzwanzig Uhr, als die Schlüsselgeräusche zu hören waren, die für unsere Genossen die Freiheit bedeuteten. Darauf mussten sie und ihre Familien vier Monate warten.

Philipp Benz