Bemerkungen zu Nina Hagers Vertiefung der Sozialismusvorstellungen

Als Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei möchte ich konstruktive Beiträge zur Programmdebatte sowie zu konkreten Sozialismusvorstellungen leisten. Ich nehme die Einladung zur Diskussion und Weiterdiskussion dankend an, komme dabei jedoch um Kritik mancher bereits veröffentlichter Ansichten nicht herum.

Der verständliche Schock für die internationale kommunistische Bewegung, den die tatsächlich von objektiven wie subjektiven, inneren wie äußeren Faktoren bestimmte Zerstörung der Sowjetunion und des Sozialismus dort und in ganz Osteuropa bewirkte, steckt bei vielen Genossen offenbar derart tief und nachhaltig in den Knochen, daß er zu teilweise merkwürdigen Einschätzungen, Auffassungen und Gewichtungen, somit zu merkwürdigen Formulierungen und Fragestellungen führt.

Von einer exakten Fragestellung hängt jedoch die Klärung und die richtige Beantwortung, von exakten Formulierungen das Verständnis für weitere Schlußfolgerungen, schließlich das Programm, die Losungen und die weitere theoretische und praktische Arbeit ab.

Nina Hager geht es in ihrem Beitrag "um eine erste Sichtung der Fragen, vor denen wir im Zusammenhang mit der Sozialismusproblematik in der Programmdebatte der DKP stehen". Nach Durchsicht einiger Punkte ist es für mich irgendwie beruhigend, daß es sich mit Blick auf Form und Inhalt der von ihr im weiteren aufgeworfenen Fragen nur um eine "erste Sichtung" handelt. Sie zitiert aus dem nach ihren Worten "noch" gültigen Parteiprogramm der DKP und spricht in diesem Zusammenhang gleich die eigentliche Zielsetzung der Partei an: Die grundlegende Umgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse in der BRD mit dem Ziel des Sozialismus, welcher gleichzeitig eine Etappe auf dem Weg zum Kommunismus bilde. Ich möchte mich unbedingt vergewissern, ob dieses Ziel innerhalb der Deutschen Kommunistischen Partei unumstritten und als solches bestehen bleibt, da sich diese Partei widrigenfalls nicht mehr "kommunistisch" und tatsächlich nicht einmal mehr "sozialistisch" nennen dürfte. Genossin Hager bemerkt, daß das sozialistische Ziel im Programm der DKP von 1978 genauer erläutert wird und dabei die grundlegenden Merkmale des Sozialismus benannt werden. Mir scheint, daß daran nichts "Grundlegendes’ auszusetzen oder zu ändern ist, sondern bestenfalls eine noch präzisere Fassung dieser Merkmale erforderlich wäre; des weiteren sind auf dem Weg zu dieser Umgestaltung selbstverständlich die jeweils aktuellen Bedingungen zu berücksichtigen und zu analysieren. Doch Nina Hager stellt anschließend die Bemerkung in den Raum: "Inzwischen haben sich jedoch grundlegende gesellschaftliche Veränderungen vollzogen." [Hervh. d. Verf.] - Welche grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen könnten das sein? Sie kann damit unmöglich grundlegende gesellschaftliche Veränderungen (weder in den entwickelten noch den unterentwickelten) kapitalistischen Ländern dieser Welt gemeint haben, sondern lediglich teilweise veränderte, erschwerte und verschärfte Kampfbedingungen, genauer gesagt Klassenkampfbedingungen unter veränderten historischen Umständen. Ihr ebenfalls in diesem Zusammenhang gleich folgender Hinweis auf Leo Mayers Referat läßt jedoch eine schlimme Irritation vermuten.

Die nachweislich einzigen grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen in der letzten Zeit vollzogen sich in der ehemaligen UdSSR und den Staaten des übrigen Osteuropa. Diese Veränderungen sind - ich kann es nicht anders nennen - die letztendlichen Resultate einer langjährigen, mit ihren Wurzeln jahrzehntelangen, teils versteckten - teils offenen, teils halbherzigen - teils ungestümen Konterrevolution, der endgültige Sieg - und damit die Niederlage des Revisionismus. Die politische Herrschaft der Arbeiterklasse, klassisch ausgedrückt - die Diktatur des Proletariats wurde gestürzt und die Diktatur der Bourgeoisie wiedererrichtet. Selbst wenn sich aufgrund der damit veränderten internationalen Lage die imperialistischen Kräfte sich neu formieren, sich deren Taktik scheinbar ändert und sie sich vorerst "global’, wie allmächtig und irrsinnig gebärden, sie sich dennoch nur innerhalb ihrer eigenen ökonomischen und politischen Grenzen ungehemmt entfalten können; auch wenn sich der moderne Imperialismus bei seinen extremen Ausbeutungs- und Kapitalverwertungsmöglichkeiten neuerer Erkenntnisse, modernster Technologien bedient, vermehrt andere Methoden zur Erlangung von Extraprofiten durch Einsatz seiner "Derivate’ auf den Weltmärkten und Weltfinanzmärkten anwendet, bedeutet dies keineswegs, daß daraus grundsätzlich andere Eigentums- oder Klassenverhältnisse, damit andere gesellschaftliche Verhältnisse hervorgingen. Die alten ökonomischen Gesetze des Kapitalismus sind - für jeden sichtbar - keineswegs "aufgehoben’, sondern aufgrund größerer Handlungsspielräume durch den - wie es Nina Hager ausdrückt "gescheiterten Sozialismus’ in der UdSSR - weltweit zunächst ungehemmt entfesselt. Nur dort (und damit verrate ich gewiß kein Geheimnis), wo sich die ökonomischen Verhältnisse und Mechanismen grundlegend ändern, können sich auch gesellschaftliche Verhältnisse grundlegend ändern. Genossin Hager sollte sich m. E. exakter ausdrücken, um einfach Mißverständnissen vorzubeugen und sich in diesem Zusammenhang auf ihre später eindeutige Aussage beschränken, daß lediglich speziell begünstigende, in ihren Worten "wesentliche Rahmenbedingungen" für den Kampf um den Sozialismus derzeit in Europa entfallen sind, eben durch die Nichtexistenz einer mächtigen sozialistischen Sowjetunion. Kann dies aber bedeuten, daß der Kampf für den Sozialismus und Kommunismus deswegen auf unbestimmte Zeit verschoben, auf absehbare Zeit unmöglich oder gänzlich aussichtslos wäre? Im Rußland des Jahres 1917 gab es alles andere als "wesentliche Rahmenbedingungen" für die sozialistische Revolution und den sozialistischen Aufbau ; auch gab es diese bestimmt nicht während der imperialistischen Intervention und des grausamen Bürgerkrieges - und wohl kaum während des faschistischen Überfalls auf die Sowjetunion, des versuchten "totalen’ Vernichtungskrieges. Man beachte hier bitte: Während all dieser Perioden gab es kein einziges Land auf der Welt, das der Sowjetunion bei der Errichtung oder dem Aufbau des Sozialismus in irgendeiner Weise beigestanden oder geholfen hätte - ganz im Gegenteil! Auch in den Jahren des der UdSSR aufgezwungenen gigantischen Rüstungswettlaufs unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg existierten nicht gerade "wesentliche Rahmenbedingungen" für ihre weitere ungestörte Entwicklung. Wesentliche Bedingungen für die Errichtung und weitere Entwicklung des Sozialismus hängen allerdings nicht nur von der Existenz oder Nichtexistenz anderer sozialistischer Staaten ab.

Es sollte nicht verwundern oder überraschen, daß sich nicht wenige, die sich früher "Kommunisten’ nannten, von ihren "Überzeugungen" und Organisationen nach den Ereignissen 1989/90/91 verabschiedeten, zumal sich ein maßgeblicher Teil vieler damaliger kommunistischer Parteien sich nicht gerade eindeutig und mehrheitlich aus der Arbeiterklasse rekrutierte. Schlimmer noch; viele hatten sich längst von ihren "inneren’ Überzeugungen verabschiedet und sind in "ihren’ Organisationen geblieben. Darauf zu achten, daß künftig der überwiegende und richtungweisende Teil der Mitglieder aus der lohnabhängigen, im Produktions- und Ausbeutungsprozeß stehenden Klasse besteht, die ihre täglichen diesbezüglichen Erfahrungen macht, sollte nach meiner Meinung wesentliches Anliegen, Pflicht der Partei der Arbeiterklasse sein. Dadurch unterscheidet sie sich nicht nur von den bürgerlichen Parteien signifikant, sondern kann ihre Politik überzeugend darstellen und konsequent betreiben. Als politische Vorausabteilung dieser Klasse muß sie ohnehin ein Teil und der bewußteste Teil von ihr sein; sie sollte daher auch nicht einfach ein "Angebot" für "politisch Interessierte" anbieten, etwa so, wie man im Warenhaus ein Sortiment bestimmter Artikel für potentiell interessierte Käufer anbietet, sondern ihre Standpunkte und Ziele (nämlich die Standpunkte und Ziele der Arbeiterklasse) eindeutig formulieren und unmißverständlich vertreten.

Zwischendurch möchte ich auf eine andere "intellektuelle’ sprachliche Eigenart hinweisen, mit der ich mich so gar nicht anfreunden kann: "...unsere Haltung zur Theorie von Marx, Engels und Lenin...". Eine "Haltung" zu einer Theorie kann man eigentlich nur dann haben, wenn man sich außerhalb von ihr bewegt. Die Lehren von Marx, Engels und Lenin kann man akzeptieren, sich zu eigen machen und schöpferisch anwenden. Man kann diese Lehren andererseits von außerhalb (z. B. insgesamt skeptisch) betrachten oder gar ablehnen - in beiden Fällen steht man allerdings eindeutig neben ihr und ist in der Lage, eine "Haltung’ dazu zu haben. Eine "Haltung’ dazu haben auch unsere heutigen Sozialdemokraten und die weit überwiegende Mehrheit der PDS. Den Marxismus-Leninismus schöpferisch weiterzuentwickeln sollte übrigens nicht bedeuten, ihn gleichzeitig seiner elementaren Grundlagen und wirklich unabdingbaren Prinzipien zu berauben, so wie dies in der Vergangenheit mehrfach geschah. Da die angesprochene Ausdrucksweise hier jedoch (hoffentlich!) zweitrangige Bedeutung haben dürfte, komme ich zu einer weitaus problematischeren Formulierung.

Genossin Hagers erste, sicherlich rhetorische Frage lautet: "Kann, muß sozialistische bzw. kommunistische Programmatik heute überhaupt noch auf das Ziel einer grundlegenden Alternative zum Kapitalismus, auf den Sozialismus, orientieren?" Da fragt es sich doch zunächst: Auf was denn sonst?! Natürlich kann und muß sozialistische (erst recht kommunistische) Programmatik gerade heute noch energischer, tief und breit auf den Sozialismus orientieren! Nina Hager schiebt in ihre Frage sogar noch "auf das Ziel einer grundlegenden Alternative zum Kapitalismus" ein und wundert sich dann, wenn in derart lichten Momenten manche Genossen kleinbürgerlich-abweichlerische Tendenzen und Reformismus wittern. Wegen einer scheinbaren oder tatsächlichen "Tendenzwende" oder eines "Tendenzbruchs" die Orientierung auf den Sozialismus vollständig zu verlieren oder aufzugeben, sich vielleicht auf unbestimmte Zeit mit dem Kapitalismus zufriedenzugeben, um diesen womöglich zu "verbessern", auf bestimmte Imperialismuserscheinungen zu warten, die einen grundlegenden Fortschritt innerhalb des Systems und darüberhinaus bewirken könnten, würde tatsächlich bedeuten, sich kleinbürgerlichen Wunschvorstellungen und reformistischen Tendenzen hinzugeben. Allein eine solche Frage (sei sie auch nur rhetorisch!) bedeutet für jeden überzeugten revolutionären Kommunisten eine Provokation.

Immerhin spricht im weiteren Verlauf von Nina Hagers Ausführungen eindeutig mehr für die sozialistische Orientierung - und damit für die einzig mögliche Alternative zum Kapitalismus und zu seinem letzten Stadium (dem Imperialismus) - als angeblich dagegen spricht.

Unter der zweiten Frage: "Welche Folgerungen ergeben sich für die Sozialismusdebatte der DKP aus den bisherigen Erfahrungen?" zitiert Genossin Hager aus einem Vortrag von Hans Heinz Holz die Zeilen: "Der Hinweis auf die allgemeinen geschichtlichen Entwicklungsgesetze reicht nicht mehr aus. Menschen, die sich für uns entscheiden sollen und wollen, haben angesichts offenkundiger Mängel beim ersten Aufbau des Sozialismus ein Recht zu fragen, wie es beim nächsten aussehen soll und besser gemacht werden kann." Genau diese Menschen haben, so denke ich, außerdem vor allem ein Recht zu wissen, daß der Sozialismus nach den bisherigen Erfahrungen für sie allemal besser als der ausbeutende, ausplünderne kriegslüsterne und alles pervertierende Kapitalismus und Imperialismus ist und daß sich diese Tatsache "von selbst’ auch nicht ändern wird. Ferner haben diese Menschen ein Recht zu erfahren, wie man den Sozialismus in Zukunft besser schützen und das Erreichte (zum Beispiel gegen den Revisionismus) besser verteidigen kann.

Genossin Hager hat im Zusammenhang mit den Sozialismusvorstellungen für die Zukunft (nach eigenen Worten) offensichtlich Probleme "angemessener Begrifflichkeit und - vor allem - der Perspektive":

"Wir müssen beachten, daß wir über Möglichkeiten gesellschaftlicher Entwicklung nachdenken, über Tendenzen gesellschaftlicher Entwicklung, die sich unter bestimmten Bedingungen mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit durchsetzen werden."

Diesen Satz lasse ich einfach mal kommentarlos so stehen und auf den Leser wirken ... (wenn er denn überhaupt irgendeine Wirkung hat).

Es kommt aber noch aussagekräftiger: "Nur muß beachtet werden: Wir können nicht voraussagen, welche sozialen Bewegungen und Klassenkräfte künftig unter welchen konkret historischen Bedingungen agieren werden, wenn die Frage des Sozialismus direkt steht." Genossin Nina Hager hat offensichtlich momentan alles vergessen, sie könnte es jedoch möglicherweise sogar noch selbst erleben: Wenn tatsächlich die Frage des Sozialismus direkt steht, sind bereits konkret historische Bedingungen eingetreten, unter denen jene Klassen, welche auch schon im Kapitalismus existierten und agierten, auf ganz besondere Weise agieren werden! Sie wird eine extrem polarisierte Klassenstruktur vorfinden, bei der sich auf der einen Seite die Arbeiterklasse, auf der anderen Seite die Klasse der Produktionsmittelbesitzer ausmachen läßt, eine Klassenstruktur, bei der dann nur noch eine Frage steht: Wer wen? Auffallend in Nina Hagers "unmöglicher Voraussage’ ist noch, daß sie diesmal nicht etwa von grundlegend gesellschaftlichen, sondern von "sozialen" Bewegungen, aber immerhin schon von "Klassenkräften" spricht.

Ich habe nach diesen Äußerungen Nina Hagers gewisse Zweifel, ob mich der folgende Satz noch zuversichtlich stimmen und trösten kann: "Die weltanschauliche Grundlage der Politik der DKP ist und bleibt die Theorie von Marx, Engels und Lenin, die wissenschaftliche Weltanschauung der kommunistischen und Arbeiterbewegung." Sie bemerkt dann noch, daß unsere wissenschaftliche Weltanschauung jedoch kein Dogma sei. Das ist schön; denn schon Karl Marx bekräftigte bereits rund 150 Jahre vor ihr, sie (diese wissenschafliche Weltanschauung) sei kein Dogma, sondern ein Wegweiser zum Handeln.

Nina Hager präsentiert dann (offenbar von anderen vorgetragene) "vielfältige theoretische Ansätze zu einzelnen Fragen". Sie wiederholt dabei die bereits gestellte Frage hinsichtlich der sozialistischen Perspektive: "Welche gesellschaftlichen Kräfte werden in diesem Zusammenhang agieren?" Die Terminologie ändert sich; nun sind es immerhin schon gesellschaftliche Kräfte und nicht bloß soziale Bewegungen, welche mit absoluter Sicherheit handeln werden, wenn die Frage des Sozialismus direkt steht !

Wie mit der "wissenschaftlich-technischen Revolution" allerdings die Arbeiterklasse verschwinden soll, ist mir (und hoffentlich auch allen anderen Genossinnen und Genossen) - gelinde gesagt - ein Rätsel! Es war die "wissenschaftlich-technische Revolution", ihre kapitalistische Verwertung, ihre Anwendung, ihr technologischer Einsatz in der kapitalistischen Produktion, die ständige industrielle Revolution des 19. und des 20. Jahrhunderts, welche die Arbeiterklasse erst recht als massenhafte Erscheinung und als politische Kraft hervorbrachte, zunächst in den sich stürmisch entwickelnden kapitalistischen Ländern selbst, mit der weiteren Entwicklung des Weltmarktes auch in vielen anderen, noch rückständigen Ländern der Erde; der Kapitalismus treibt fieberhaft diese "wissenschaftlich-technische Revolution" weiter an. Dabei brauche ich wohl nicht beim Dampfwebstuhl oder dem Fließband zu beginnen. Mit dieser Entwicklung nahmen Ausbeutung und Entfremdung des Menschen von seiner Arbeit - und dies sind die wesentlichen und dauerhaften Auswirkungen des Kapitalismus auf die unterdrückte Klasse - in historisch beispiellosen Ausmaßen zu. Manche sehen anscheinend vor lauter "wissenschaftlich-technischer Revolution", die der Kapitalismus lediglich zu immer höherer Steigerung seiner Maximalprofite anheizt, die moderne Arbeiterklasse nicht mehr oder meinen, sie könne allein durch d i e s e "Revolution" plötzlich oder auch allmählich verschwinden. Es braucht keine Angst aufzukommen: Der Kapitalismus produziert und reproduziert diese Arbeiterklasse immer wieder neu. Die Arbeiterklasse wird solange bestehen wie der Kapitalismus besteht - und sie wird genauso lange unter ihm zu leiden haben. Das ist in der Phase des Imperialismus nicht anders. Man sollte vor allem die ökonomische Frage stellen, woher denn wohl der Kapitalismus, in welchem Stadium auch immer - wohlgemerkt ohne Arbeiterklasse!! - seinen Mehrwert nehmen und wie er schließlich seinen Profit realisieren will, durch was und durch wen? Es gibt nur eine gesellschaftliche Entwicklungsstufe, auf der die Arbeiterklasse als Klasse nicht mehr existiert; das ist der vollständig entfaltete Kommunismus. Dort aber existieren auch alle anderen Klassen nicht mehr. Nebenbei, liebe Genossen, bedarf es auf einer solchen Stufe selbstverständlich auch keiner kommunistischen Partei mehr.

Von unserem Standpunkt aus stellt sich die aktuelle Frage für die Zukunft: Wer, außer der Arbeiterklasse, sollte wohl die sozialistische Revolution vollbringen, wie auch immer dies im einzelnen aussehen mag und welche anderen "sozialen Bewegungen" oder "Klassenkräfte" auch noch daran beteiligt sein mögen? Die Arbeiterklasse hat sich in revolutionären Zeiten, bei den kommenden "grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen" und beim Aufbau des Sozialismus als treibende Kraft an die Spitze zu stellen und ihre Macht zu behaupten. Und darauf hat die Partei der Arbeiterklasse sie in vor- oder "nicht"revolutionären Zeiten vorzubereiten.

Damit konnte ich vielleicht hinreichend vermitteln, daß es nicht nur die Arbeiterklasse auch heute gibt - hier wie anderswo, daß es sie sehr wohl weiterhin geben wird und daß sie für die künftig zu lösenden Widersprüche und Aufgaben nicht nur absolut unentbehrlich, sondern die entscheidende, letztlich sogar die einzige Kraft ist, mit der alles steht oder fällt. Ich frage mich daher ernsthaft: Was treibt Leute, die aufgrund der "wissenschaftlich-technischen Revolution" die Existenz der Arbeiterklasse anzweifeln oder unter diesen Bedingungen deren Auflösung verkünden in die Partei der Arbeiterklasse? Möglicherweise haben jene Leute ja auch die Vorstellung, daß wir alle künftig zu Milliardären mutieren, von Robotern bedient werden, glücklich und zufrieden im Internet surfen und vom Shareholder Value leben (in genmanipulierter Unsterblichkeit versteht sich). Dagegen sprechen jedoch solch profane Dinge wie Reallohnsenkungen, Sozialleistungskürzungen und verschärfte Ausbeutungspraktiken gerade auch in den hochentwickelten kapitalistischen Ländern, Produktions- und Handelskrisen, Handels- und noch ganz andere Kriege, die imperialistische Umklammerung der Staaten und die extrem gesteigerte Ausplünderung der unterentwickelten Länder dieser Welt. Es wird mit Hilfe der wissenschaftlich-technischen Entwicklung auch kein "friedliches Hinüberwachsen’ in die nächste, die neue Gesellschaft geben, weil die Kapitalgewaltigen, die über diese Wissenschaft und diese Technik gebieten, ihre Macht nicht freiwillig abgeben werden (das haben alle Revolutionen gezeigt) und ihnen diese Macht auch nicht aus Versehen aus den Händen gleitet - so wie ab und zu einmal ein Koffer voller Geld an einer bestimmten Regierungs- oder Verwaltungsstelle. Die Kapitalisten werden ihre Produktionsmittel unter keinen Umständen freiwillig der gesellschaftlichen Kontrolle übergeben. Die Vorstellungen derer, die vom "Verschwinden" der Arbeiterklasse reden, solche oder ähnliche Illusionen in die Welt setzen und verbreiten lassen, sind nur als irrige, spekulative Phantasien zu bewerten und fallen klar in die Kategorie vormarxistischer Utopien.

Es ist kein Geheimnis und auch nicht neu, daß die arbeitenden Menschen einem ständigen "Wandel" unterzogen, ständigen Wechselbädern ausgesetzt sind. Mit den Produktivkräften ändern sich die Produktionsbedingungen. Man lese diesbezüglich z. B. bei Marx oder Engels nach. Was die arbeitenden Menschen als Klasse anbelangt, so steht letzterer grundsätzlich bei ihrer Formierung von einem Objekt zu einem Subjekt nur die Bourgeoisie im Wege.

Wenn Holz sagt: "[...]Die Entwicklung einer neuen Gesellschaft mit einem neuen Menschentyp ist dann eine Frage der Zeit, ..." (im Sozialismus), so hat er damit nicht nur völlig recht, sondern es klingt für mich durchaus nicht so, als müsse man diesen Typus Mensch "konstruieren"; die grundlegend veränderten ökonomischen und daher gesellschaftlichen Verhältnisse werden früher oder später den neuen Menschen formen, der unter gänzlich anderen, nämlich den bestmöglichen sozialen und kulturellen Bedingungen geboren, aufwachsen, lernen, lehren, produzieren, seine materiellen und kulturellen Bedürfnisse befriedigen wird. Als ein von kapitalistischen Zwängen befreiter, schöpferischer, denkender, verantwortungsvoller Mensch wird er in dieser neuen Gesellschaft wirken und sie und sich selbst vervollkommnen. Das alles geht in einer Anfangsphase gewiß nicht reibungslos oder gänzlich widerspruchsfrei vonstatten, zumal bekanntermaßen der Sozialismus (d. h. die Vorstufe zum Kommunismus) insgesamt nicht völlig widerspruchsfrei verläuft. Man könnte dennoch überlegen, wie dieser Prozeß, die Formung des neuen Menschen unter sozialistischen Bedingungen bewußt beschleunigt oder günstig beeinflußt werden kann. Ein wichtiger Aspekt ist die Tatsache, daß die bloße Existenz von Staaten der veralteten, sich in einem Fäulnisprozeß befindlichen Gesellschaftsordnung beträchtlich negative Einflüsse auf die neue Gesellschaft haben kann und tatsächlich hat. Sie kann die Überwindung bestimmter negativer Verhaltensweisen sehr verzögern oder solche Verhaltensweisen qualitativ und quantitativ verstärken. Die unmittelbare Nachbarschaft solcher Staaten stellt dabei ein besonderes Problem dar.

Es kann jedoch nicht darum gehen, in einem längeren Prozeß Verhaltensweisen des Individualismus zu verändern, sondern darum, den auf Privatinteresse und Eigennutz beruhenden Individualismus gänzlich zu beseitigen und damit verbundene Verhaltensweisen abklingen zu lassen, um zu ganz anderen Formen menschlichen Zusammenlebens zu gelangen, deren reale Möglichkeiten sich mit den neuen gesellschaftlichen Grundlagen ergeben. Damit keine Mißverständnisse aufkommen: Das hat absolut nichts mit Einschränkungen persönlicher Freiheit oder Hemmnissen einer freien Entfaltung zu tun, sondern mit dem Absterben des auf dem Privateigentum basierenden Eigeninteresses, einer besonders widerlichen und schädlichen Form des bürgerlichen Individualismus - die dominierende Hauptform schlechthin.

Genossin Hager bezweifelt anscheinend, daß der Sozialismus unfähig sei, die Übereinstimmung von Mensch und Natur herzustellen. Im wesentlichen unterscheidet sich der Mensch von den übrigen Naturprodukten durch die Fähigkeit, auf höchster Ebene abstrakt (z.B. dialektisch) zu denken und (bewußt) planmäßig zu handeln. Die bereits gegebene Entwicklungsstufe der Produktivkräfte, die bestehenden wissenschaftlichen und technologischen Errungenschaften der Menschheit, erlauben unter den Bedingungen einer sozialistischen Gesellschaft und einem entsprechenden Bewußtsein nicht nur den planmäßigen Schutz der allgemeinen Lebensgrundlagen, sondern sogar die Rückgängigmachung bereits entstandener negativer Umweltentwicklungen und Naturschäden. Das isolierte, spontane Eigeninteresse hat allgemein keinen Bezug zu den Lebensbedingungen anderer Menschen, eines Volkes oder der gesamten Menschheit, kennt kein "harmonisches’ Verhältnis zur Tier- und Pflanzenwelt, sondern betrachtet alles zusammen lediglich unter dem Aspekt des Profits, der kapitalistischen Verwertung. Dezentralismus, vereinzelte Konkurrenten und individuelle Interessen können daher ebensowenig effektiv für die Reinhaltung der Luft, des Wassers und des Bodens sorgen wie die blinde Profitsucht kapitalistischer Monopole. Erst als kollektiv denkendes Wesen unter den allgemeinen Bedingungen vergesellschafteter Produktionsmittel und einer geplanten Ökonomie ist der Mensch in der Lage, auch diese Probleme zu lösen; diese Art kollektiver Vernunft kann und wird sich nicht die eigenen Lebensgrundlagen entziehen, sondern tatsächlich mit der Natur "in Einklang’ leben.

Der "Weg zu dieser neuen Gesellschaft, der Bruch mit den gegenwärtigen Verhältnissen" sollte m. E. nicht umstritten sein. Er kann es eigentlich nicht sein, wenn man sich von marxistisch-leninistischen Prinzipien leiten läßt. Revolution ist der Sturz der herrschenden Klasse durch eine andere Klasse. Bei diesem Vorgang müssen die Kampfbedingungen und Klassenkräfte berücksichtigt werden. Zur Vermeidung langwieriger blutiger Bürgerkriege oder Kämpfe sollte diese Revolution möglichst schnell, dafür um so gründlicher durchgeführt werden. Nach meiner Ansicht gehört es zu den humanistischen Aufgaben einer kommunistischen Partei während der Revolution, die Geburtswehen der neuen Gesellschaft möglichst zu verkürzen. Nina Hager stellt sich die Revolution als einen Prozeß vor, "in dem Millionen und Abermillionen Menschen in Bewegung geraten". Das wäre wahrhaftig ein phantastischer Anblick - davon haben bestimmt schon viele geträumt. Nina Hager bleibt uns leider die Erklärung schuldig, unter welchen konkreten Voraussetzungen eine solche Massenbewegung stattfinden könnte ... es müßte jedenfalls etwas sein, was bei jedem einzelnen dieser Millionen einschneidende Erkenntnisse, vielleicht auch den Mut der Verzweiflung hervorgerufen hat. Wie eine Revolution letztlich verlaufen wird, hängt von vielen Faktoren ab, dem Erkenntnisstand der revolutionären Klasse, den Mitteln, über welche die revolutionäre Klasse verfügt und die sie noch erlangen muß, um die Revolution erfolgreich zu bestehen und zu verteidigen; es hängt davon ab, mit welcher Macht und in welchem Umfang die zu stürzende Klasse sich zur Wehr setzt; und nicht zuletzt hängt es von der revolutionären Partei ab, auf die sich die revolutionäre Klasse stützt. Mit Erleichterung stelle ich fest, daß Genossin Hager nunmehr die Arbeiterklasse in diesem Prozeß eine immerhin entscheidende Rolle zukommen läßt, wenn auch "möglicherweise im Bündnis mit völlig neuen sozialen und politischen Kräften". Vielleicht braucht die Arbeiterklasse aber auch gar keine völlig neuen sozialen und politischen Kräfte, um ihre Revolution durchzuführen. Sie braucht vor allem eine starke Partei, die weiß, was sie will und was möglich ist.

Ich kann hier natürlich nicht auf alle Fragestellungen und Formulierungen eingehen, die zu Ungenauigkeiten, Mißverständnissen und Verwirrungen führen könnten.

Ein Punkt muß jedoch unbedingt noch angesprochen werden.

Es stimmt mich immer etwas traurig, wenn Marxisten Schwierigkeiten mit der Ökonomie haben. Hier ist natürlich nicht genügend Raum, um auf die diesbezüglich folgende Frage erschöpfend eingehen zu können. "Welche gesellschaftlichen Eigentumsformen sind in der Lage, die Frage der sozialen Gerechtigkeit dauerhaft zu lösen?" Diese Frage wird tatsächlich im Jahre 2001 von kommunistischen Genossen gestellt. Ich weiß nicht, mit welchem Werk der gewaltigen Literatur, die uns die kommunistischen Klassiker hinterlassen haben, ich anfangen, mit welcher Seite ich beginnen und welches der unzähligen Zitate ich anführen sollte. Am besten komme ich in diesem Zusammenhang gleich auf die letzte Fragestellung des betreffenden Absatzes: "Die Frage wird auch gestellt, ob es im Sozialismus noch Warenproduktion geben kann."

Die Ware und damit die kleine Warenwirtschaft ist eine ökonomische Keimzelle des Kapitalismus. Des Kapitalismus! - nicht des Kommunismus. Das Hauptlebenswerk des Dr. Karl Heinrich Marx zur Analyse der kapitalistischen Gesellschaft beginnt nicht zufällig mit der Analyse der Ware. Er wies auch darauf hin, daß es in einer kommenden sozialistischen Gesellschaft ganz anders auszusehen habe. Auch nur einen Augenblick daran zu denken, daß die Warenproduktion in irgendeiner Weise vorteilhaft unter den Bedingungen hochentwickelter Produktivkräfte und einer ebenso entwickelten Arbeiterklasse dem Sozialismus dienlich sein könne, bedeutet, sich vom Marxismus-Leninismus, vom wissenschaftlichen Sozialismus zu entfernen. Warenproduktion und Warenzirkulation hat im künftigen Sozialismus nichts zu suchen, wäre anachronistisch - und auch gänzlich überflüssig. Sie wirken eher störend und (wie man sah) u. U. auch zerstörend auf bestehende sozialistische Strukturen.