Etikettenschwindel mit der K-Frage

Wo geht es denn nun zum Kommunismus?

Die Partei "Die Linke" ist im Kampf gegen den reaktionären gesellschaftlichen Umbau die stärkste organisatorische Kraft. Sie ist unverzichtbarer Bündnispartner im antifaschistischen Kampf, der Friedenspolitik, und auch in der sozialen Frage ist eine längere gemeinsame Wegstrecke absehbar. Das gilt insbesondere für ihre Vorsitzende Gesine Lötzsch.

Aber diese Partei hat eine Grenze, die in der Skandalisierung des die Podiumsdiskussion vorbereitenden Artikels "Wege zum Kommunismus" auf unsanfte Weise(wieder) aufgedeckt wurde. Diese Grenze wird markiert durch den "antistalinistischen Grundkonsens", mit dem eine nach der Konterrevolution demoralisierte SED als PDS in der neuen Republik Fuß zu fassen versuchte und der in die PDL übernommen wurde. Die Formel "antistalinistischer Grundkonsens" ist unterschiedlich interpretierbar, doch ihr faktischer Imperativ besteht in der Gleichung Stalinismus = administrativ-bürokratischer Sozialismus = realer Sozialismus.

Dieser Konsens mit seiner Fokussierung auf Verbrechen, Terror und autoritärer Herrschaft (die es zweifellos gegeben hat) soll den Blick verstellen auf die epochale Leistung des Roten Oktober, die Tür zu einer neuen Produktionsweise geöffnet und in weltweiter Wirkung Emanzipationsbestrebungen - von der Gleichstellung der Frau bis zum nationalen Befreiungskampf - befördert zu haben. Wer unter der Voraussetzung dieses Konsens vom Kommunismus spricht, muss sich fragen lassen, auf welcher ökonomischen Grundlage denn ein solcher, der so gar nichts mit dem vergangenen Sozialismus zu tun haben soll, funktionieren soll. Darüber hört man buchstäblich nichts, wohl aber süße Flötentöne über Demokratie, ein Leben in Solidarität ohne Ausbeutung, Friede, Freude, Eierkuchen und alles wird gut. Solange das so ist, gilt die These: Wer dem nach der Oktoberrevolution eingeschlagenen Weg eine Generalabsage erteilt und vom Kommunismus spricht, ist ein Utopist oder will ihn gar nicht.

Gesine Lötzsch sprach von 1000 Wegen zum Kommunismus, was man auch übersetzen kann mit: keine Ahnung. Ohne diese minimalistische Paraphrase wäre ihr Artikel eine gute Zusammenfassung dessen gewesen, was von der PDL zu erwarten ist - und was wir an ihr zu schätzen wissen.

Wenn dem "Tagesspiegel" zu glauben ist, wollte sie vermittelst ihrer K-Geste durch ihre Teilnahme an der RLK "auch diejenigen für die Linke gewinnen, die unsere Partei für zu angepasst halten". (Tagesspiegel vom 5.1.2011)

Sie wollte also ein bisschen schwindeln, indem sie unter dem Etikett "Kommunismus" nur das wohlbekannte Konzept des demokratischen Sozialismus verkaufte. Damit bekam sie Schwierigkeiten. Bei den Rechten in dieser Gesellschaft, für die allein schon die Erwähnung des K-Wortes ein Straftatbestand darstellt, und bei den Rechten in der eigenen Partei, die den Konsens, an den auch die Vorsitzende gebunden ist, als Trumpfkarte ausspielen können. Lötzsch hielt dem Druck nicht Stand und sagte ihre Teilnahme an der Podiumsdiskussion kurzfristig ab. Das ist schade. Ohne den Etikettenschwindel hätte man auf eine interessante Auseinandersetzung zwischen demokratischem Sozialismus und Kommunismus hoffen können.

Anstatt es damit bewenden zu lassen, schossen sich die Veranstalter ein Eigentor. Getragen von einer Woge der Solidarität, die ihrer bis kurz vorher gezeigten Standhaftigkeit gegenüber den rechten Angriffen galt, wurde Gesine Lötzsch ermöglicht, was nicht der Sinn der Veranstaltung sein konnte: eine fast halbstündige Reklameveranstaltung für die PDL, in der sie endlich mit der Verurteilung von "Stalinismus und autoritären Sozialismus" den von ihr verlangten Kotau vollzog, bevor sie sich von dannen machte.

Ob ihre Anwesenheit in der anschließenden Diskussion tatsächlich zu einer ersprießlichen Auseinandersetzung zwischen demokratischem Sozialismus und Kommunismus geführt hätte, muss im Nachhinein allerdings bezweifelt werden.

Wir hörten weder etwas über die Notwendigkeit einer kommunistischen Partei noch etwas über die Notwendigkeit der zentralen Aneignung des Mehrprodukts oder der Planwirtschaft, wohl aber ein Echo auf die Lötzsch-Rede hinsichtlich der negativen Seiten des vergangenen Sozialismus. Es war der parteilosen, in der DDR aufgewachsenen Betriebsratsvorsitzenden Katrin Dornheim vorbehalten, die Berücksichtigung der Erfahrungen von vor 1989 anzumahnen und wenigstens, was die künftige Gesellschaftsordnung betrifft, darauf hinzuweisen, dass "das Eigentum an Produktionsmitteln nicht in private Hände gehört". So wurde wenigstens ein Anflug von dem spürbar, was angesichts des auf der Konferenz reichlich gehörten abstrakten Geredes über den Kommunismus als schöner Idee besonders Not tut: den Kommunismus zu fassen als die "wirkliche Bewegung, die den jetzigen Zustand aufhebt" (Marx).

Helmut Dunkhase

Aus: Berliner Anstoß, Zeitung der DKP Berlin, Februar 2011