AfD: Flüchtlinge gegen Bedürftige ausspielen

Die Alternative für Deutschland (AfD) will den Wahlkampf mit Sozialdemagogie bestreiten.

Das ist die Quintessenz des Plans, den der Parteivorsitzende Jörg Meuthen vorstellte: "Wenn ich das Geld für Flüchtlinge zur Verfügung stelle, dann kann ich es nicht für Bedürftige im Inland ausgeben." So wird das Leitmotiv der sozialpolitischen Agitationen der rechtsradikalen AfD im Bundestagswahlkampf lauten.

Dass die AfD überhaupt mit Sozialpolitik argumentieren will, ist zunächst überraschend, denn die Partei hat sich in ihrem Programm dieser Thematik kaum gewidmet. Und die Passagen, die das doch tun, sind sehr viel eher neoliberal geprägt als sozial. So sollen etwa die Erbschafts- und Vermögenssteuer abgeschafft, der Staat verschlankt und die Lebensarbeitszeit verlängert werden.

Diese Ausrichtung klingt auch im eingangs zitierten Meuthen-Interview an: "Die aktuelle Sozialpolitik der großen Koalition von Union und SPD ist eine Sozialpolitik mit dem Füllhorn, frei nach dem Motto 'Jeder muss was kriegen'. Wir wollen und müssen staatliche Leistungen auf die wirklich Bedürftigen konzentrieren."

Das klingt nun nicht danach, als sollten alle Bedürftigen – seien es nun KleinrentnerInnen, prekär Beschäftigte und andere GeringverdienerInnen, Hartz IV-BezieherInnen und AufstockerInnen, Obdachlose – von der AfD besser unterstützt werden. Im Gegenteil bedeuten Meuthens Worte, dass viele, die bislang staatliche Unterstützungsleistungen beziehen, dies unter einer AfD-geführten Regierung nicht mehr erwarten dürften, wenn sie nicht zu den "wirklich Bedürftigen" gerechnet werden. Und wer das ist bzw. wer das nicht ist, sagt Meuthen wohlweislich nicht. Denn er ist klug und will es sich nicht mit möglichen WählerInnen verderben. Die interviewenden Journalisten fragen aber auch nicht nach.

Welche staatlichen Leistungen bei Meuthen rausfielen, würde er denn einmal gefragt werden, kann an seinen sonstigen Statements zur Sozialpolitik abgelesen werden:

  • Rentenversicherung privatisieren – Meuthen verlangt einen "Systemwechsel in der Rentenversicherung", für eine Abkehr von der gesetzlichen Rentenversicherung hin zu einer "staatlich erzwungenen privaten Vorsorge".
  • Sozialausgaben streichen – "31 Prozent des BIP sind Sozialausgaben. Da sind einige Zöpfe dabei, die ohne große Folgen abgeschnitten werden können."
  • Sozialausgaben für Alleinerziehende streichen – "Wir müssen entschieden gegen soziale Vollkaskomentalität eintreten", sagt er. "Nur wenn Bürger in existenzielle Nöte geraten, die sie nicht selbst bewältigen können, ist der Staat gefragt." Keine Hilfen dürfe es geben, wenn Leute es "gezielt darauf anlegen, in die Bedürftigkeit zu fallen". Als Beispiel nennt Meuthen Alleinerziehende, die ihre Kinder mit Männern gezeugt haben, die nicht ihre Partner sind. Für diese Entscheidung solle später nicht die Gesellschaft aufkommen müssen, sagt er."

Standpunkte, die so oder ähnlich, von vielen AfD-FunktionärInnen vertreten, aber kaum in der Öffentlichkeit thematisiert werden. Hier nur beispielhaft:

  • Björn Höcke: Abstriche am Sozialstaat – "Auf Dauer werden wir – vor allem vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung – Abstriche am Sozialstaat in der bisherigen Form machen müssen."
  • Frauke Petry: Renten kürzen – "An einer weiteren Verlängerung der Lebensarbeitszeit führt daher kein Weg vorbei. Das ist brutal, genauso, dass man vermutlich über eine weitere Kürzung der Renten wird reden müssen."
  • Beatrix von Storch: Arbeitslosenversicherung privatisieren – "Der Vorschlag in einem früheren Programmentwurf der AfD, die Arbeitslosenversicherung zu privatisieren, stamme nicht von ihr," sagte von Storch. "Aber ich habe grundsätzliche Sympathie dafür."

Bei all diesen antisozialen Positionierungen – und es könnten sehr viele weitere von hohen ParteifunktionärInnen beigebracht werden – ist es blanker Hohn, wenn sich die AfD als soziale Partei ausgeben will. Es geht einzig und allein darum, Sozialneid (noch dazu auf die Ärmsten) zu schüren und zu suggerieren, würden die Flüchtlinge verschwinden, hätten alle mehr Mittel für sich selbst zur Verfügung. Doch die AfD ist und bleibt die Partei der sozialen Kälte. Nach "unten" würde kein einziger eingesparter Cent wandern.

Das wird auch deutlich, wenn Meuthen und Alexander Gauland den französischen Präsidentschaftskandidaten Francois Fillon für seine Wirtschaftspolitik in höchsten Tönen loben. Denn Fillon steht genau für eine rigide Sparpolitik auf Kosten der unteren Gesellschaftsschichten (z.B. Erhöhung der Wochenarbeitszeit von 35 auf 48 Stunden; Streichung einer halben Million Beamtenstellen, Beschneidung von Gewerkschaftsrechten).

So sagt Meuthen, er könne das Wirtschaftsprogramm des Front National – das sich einer sozialen Phraseologie bedient – nicht teilen. "Ich freue mich, dass mit François Fillon ein guter konservativer Kandidat ins Rennen geht." Und Gauland "imponiert das wirtschaftliche Reformprogramm, das Fillon für Frankreich entwirft".

Beliebigkeit und Sozialdemagogie

Meuthen hat sich entschieden, in der AfD weiterhin eine größere Rolle spielen zu wollen. Um das zu können, muss er einige seiner Überzeugungen opfern. So schwafelt er zwar weiterhin davon, in einer liberal-konservativen Partei zu sein, hat sich aber längst in der baden-württembergischen Landtagsfraktion dem common sense unterworfen, dass auch rechtsextremistische Positionen in der AfD einen Platz haben. Mag das noch Meuthens ganz persönliche Lebenslüge sein, so wechselt er inzwischen sogar in ökonomischen Fragen schon einmal das Hemd, wenn es ihm parteitaktisch sinnvoll erscheint.

So lehnt er inzwischen das Kirchhofsche Steuermodell ab, das nur noch drei Steuerklassen von 15, 20 und 25% vorsieht – also ein massive Steuerentlastung für die Gutverdiener wäre. Dieses Modell und ähnliche Vorstellungen von einer Einheitssteuer sind beim neoliberalen Flügel der AfD sehr beliebt (beworben wird es natürlich nicht mit "weniger Steuern für Reiche", sondern mit "Steuervereinfachung").

Zuletzt hatten sich der niedersächsische Landesvorsitzende Armin Paul Hampel und Alice Weidel dafür öffentlich stark gemacht. Hampel vertrat einen niedrigen Stufentarif mit Steuersätzen von zwölf, 16 und maximal 20 Prozent. Und Weidel "hätte lieber einen Einheitstarif gehabt, möglichst niedrigen".

Jetzt widerspricht Meuthen diesen Ideen: "Zwar gibt es bei uns viele Sympathien für einen einfachen Stufentarif bei der Steuer und eine breite Bemessungsgrundlage ohne Ausnahmen. Aber die niedrigen Sätze nach dem Muster von Kirchhof wären eine 'Flat Tax' mit starker Entlastung hoher Einkommen, was den traditionellen Gerechtigkeitsvorstellungen in Deutschland widerspricht."

Das ist auch deshalb erstaunlich, weil Meuthen selbst bereits für eine 'Flat Tax' votierte: "Das Steuersystem sollte vereinfacht werden, dafür orientiere sich die AfD an dem vom ehemaligen Verfassungsrichter Paul Kirchhof entwickelten Steuerkonzept. Er selbst sei Anhänger einer 'Flat Tax', also einer flachen Einheitssteuer."

Wem kommt da nicht der Gedanke, Meuthen habe aus Opportunismus seine Meinung der AfD-Basis angepasst, die Steuererleichterung explizit für Vermögende denn doch überwiegend ablehnt?

Bei der Frage der sog. Bürgerversicherung ist er dann aber wieder ganz der alte Neoliberale. Die Welt fragte, "was halten Sie von der Bürgerversicherung à la Hampel?" Meuthen antwortete: "Nichts. Eine Bürgerversicherung wäre keine gute Idee. Schon weil ich staatlichen Zwang minimieren und nicht noch erweitern will, indem ich mehr Bevölkerungsgruppen in die gesetzlichen Sozialversicherungen zwinge. Diese maroden Systeme kann ich nicht dadurch sanieren, dass ich via Zwang noch mehr Leute daran beteilige. Etwa die Selbstständigen, die gewaltige Schwierigkeiten bekämen, wenn sie auch noch in die Rentenversicherung einzahlen müssten."

Was also ist von dem angekündigten sozialpolitischen Wahlkampf der AfD zu erwarten? Nichts als Rassismus, nichts als das Aufwiegeln von Menschen gegen MigrantInnen und insbesondere gegen Flüchtlinge, die in der Hoffnung selbst mehr vom Kuchen abbekommen zu können, auf diejenigen, die auf der untersten Stufenleiter dieser Gesellschaft stehen, eindreschen sollen. Das ist die Sozialdemagogie einer rechtsradikalen Partei!

In der derzeitigen Situation, in der es kaum noch Kämpfe für mehr soziale Gerechtigkeit, für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen, für höhere Löhne und kürzere Arbeitszeit oder für ein auskömmliches Leben im Alter gibt – ist diese Demagogie brandgefährlich! Die Landtagswahlen des ausgehenden Jahres zeigen, dass die AfD auch bei Teilen der sozial Benachteiligten Erfolge feiern kann.

Auch dort scheint die Hoffnung größer zu sein, mit dem Nach-unten-treten mehr für sich herausschlagen zu können, als mit einem solidarischen und kämpferischen Miteinander für die Verbesserung der Lebensbedingungen aller. So betrachtet ist der Erfolg der AfD auch ein Ausdruck der Schwäche einer kämpferischen Linken, die doch das natürlich Gegengift gegen Rassismus, Nationalismus, Ausgrenzung und Sozialdemagogie sein müsste.

Von Frank Behrmann, scharf links