Wie seriöse Berichterstattung immer mehr ersetzt wird durch moralisierende Propaganda

Emotionale Rhetorik versus sachliche Aufklärung

Der Begriff Vernunft bezeichnet die menschliche Fähigkeit, durch Denken zur Erkenntnis zu gelangen und an dieser das eigene Handeln auszurichten. Seit dem Zeitalter der Aufklärung galt Rationalität weithin als Leitbild. Vernunftgeleitetes, begründbar richtiges Handeln versprach, den Anforderungen der Realität am ehesten gerecht zu werden.

Seit einigen Jahren aber wird (nicht nur in Deutschland) in Gesellschaft und Politik immer weniger rational argumentiert und immer mehr moralisch. Wo die rationale Argumentation versucht, den besten Weg zum Erreichen des Zwecks zu ergründen, und dabei auch unterschiedliche Positionen und Interessen miteinander vereinbaren kann, kennt das moralische Argumentieren nur die Extreme Gut und Böse.

Gutes amerikanisches Erdgas, Greta Thunberg und die Jungfrau von Orléans

So behauptete US Außenminister Mike Pompeo allen Ernstes, dass die USA mit ihrem Erdgas zugleich hochstehende Werte exportiere, während andere Nationen damit böse Zwecke verfolgten. Präsident Donald Trump sei von Gott geschickt worden, um das jüdische Volk zu schützen.

Auch in Deutschland breitet sich diese Rhetorik aus. Vor 20 Jahren hatte man den Angriff auf Jugoslawien perfider weise damit begründet, ein neues Auschwitz verhindern zu müssen. Die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt nannte die Klimaaktivistin Greta Thunberg eine Prophetin. Die Ikonisierung der jungen Schwedin lässt tief blicken. Statt sich in der energiepolitischen Debatte mit Argumenten aufzuhalten, greift man auf eine Heilsfigur zurück. Ging es bei der Jungfrau von Orléans vor 600 Jahren nur um Frankreich, soll die kleine Greta heute symbolhaft gleich die ganze Welt retten. Das ist so irre, wie es klingt, und es ist tatsächlich eine Rückkehr ins Mittelalter und eine Abkehr von den Werten der Aufklärung.

Wenn Politikern keine Argumente mehr einfallen

Als Ursache für diese Entwicklung kann man sicher ein Bedürfnis der Gesellschaft annehmen, eine aus den Fugen geratene Welt durch die Orientierung an klaren Kategorien wie Gut und Böse wieder überschaubar zu machen. Sie ist aber auch Ergebnis der Moralisierung politischer Fragen durch Politiker und Interessengruppen, wenn sich ihre Ziele und Absichten gegenüber den Wählern nicht rational begründen lassen.

Die Tendenz zur Moralisierung ist besorgniserregend und gefährlich, denn dadurch steht die Zukunft menschlichen Zusammenlebens auf dem Spiel. Wer sich selbst mit dem Guten und das Gegenüber mit dem Bösen identifiziert, wird kaum einen Grund haben, unterschiedliche Interessen auszumachen und zu diskutieren, er wird sich im Recht sehen, den anderen zu negieren und gegebenenfalls zu bekämpfen. Darüber hinaus geht die Fähigkeit verloren, zu rational begründbaren, angemessenen Entscheidungen zu kommen. Die Folgen zeichnen sich bereits ab.

Aufgeben ist keine Option

Wer sich mit dieser Entwicklung nicht abfinden will, dem bleibt nicht viel mehr, als an rational begründeten Argumenten festzuhalten und immer wieder die Diskussion zu suchen. Das ist weder einfach noch angenehm. Doch es gilt immer wieder klarzumachen, dass Moralisieren allzu oft den Weg zu unmoralischem und letztlich zerstörerischem Handeln eröffnet, um diesem Irrweg ein Ende zu bereiten.

(nach einem Artikel von Andreas Richter, geb. 1959; Journalist, Autor und Regisseur; u.a. Gewinner des Bayerischen Filmpreises 2011, siehe auch: www.kunorichter.de