Arbeitszeit und politische Ökonomie

In einem Betrieb spricht der Unternehmer mit einem der Arbeiter. Dabei wird er von einem Kollegen beobachtet. Dieser fragt den Unternehmer:

"Was haben Sie dem Mann da eben gesagt?"

Der Unternehmer daraufhin: "Er soll schneller arbeiten."

Der Kollege: "Und was zahlen Sie ihm?"

"100 Euro am Tag."

"Und woher nehmen Sie das Geld, um ihn zu bezahlen?"

"Vom Erlös für die Erzeugnisse."

"Und wer stellt die her?"

"Der Arbeiter natürlich."

"Und welchen Wert hat seine Tagesproduktion?"

"800 Euro."

"Also zahlen Sie nicht ihm etwas, sondern er zahlt Ihnen täglich 700 Euro dafür, dass Sie ihm sagen, er soll schneller arbeiten!", meint der Kollege entrüstet.

"Wieso?", fragt der Unternehmer, "Die Maschinen gehören doch mir!".

"Und wo haben Sie die Maschinen her?"

"Ich habe sie vom Erlös der Erzeugnisse gekauft."

"Und wer hat die Erzeugnisse hergestellt?"

"Pssst!", flüstert der Unternehmer plötzlich aufgeregt, "Er könnte uns hören!"

Ein kurzer Dialog, der die politische Ökonomie des Kapitalismus zugespitzt und etwas vereinfacht zusammenfasst.

Die "Ware" Arbeitskraft

Ein wesentlicher Aspekt der politischen Ökonomie des Kapitalismus ist die Frage der Arbeitszeit. Sie wird, wie jede zur Produktion von Waren, Gütern und Dienstleistungen notwendige Ware, vom Unternehmer/Kapitalisten (bzw. deren geschäftsführenden Managern) eingekauft und anteilig den Erzeugnissen als Herstellungskosten zugeschlagen. Dem Arbeitenden (Arbeiter, Angestellte etc.) erscheint der Preis der Ware, die er dem Kapitalisten verkauft, als Lohn/Gehalt. Die Ware, die er verkauft, ist seine Arbeitsfähigkeit für einen bestimmten Zeitraum. Den Lohn, den er erhält, verwendet er, um seine Arbeitskraft wiederherzustellen (diese zu reproduzieren).

Herstellungskosten der Ware Arbeitskraft

Zur Reproduktion seiner Arbeitskraft zählt aber nicht nur der Erhalt seiner eigenen, individuellen Arbeitsfähigkeit. Da er irgendwann nicht mehr in der Lage ist zu arbeiten, zählt zur Reproduktion auch die Betreuung, Erziehung und Ausbildung seiner Kinder. Gesellschaftlich betrachtet erarbeitet er also die Kosten seiner eigenen Wiederherstellung (Ernährung, Wohnung, Mobilität, Erholung, Krankenversorgung, Rente, ...) und die Kosten für den Ersatz seiner Arbeitskraft.

Für all dies erhält er vom Kapitalisten einen Bruchteil dessen, was er an Werten erschafft. In unserem Beispiel 1/8. Arbeitswissenschaftler haben im letzten Jahrhundert errechnet, dass die Beschäftigten im Jahr 1972 im Durchschnitt pro Tag etwa 1,7 Stunden gearbeitet haben, um den Gegenwert ihres Lohnes zu erarbeiten. Da die durchschnittliche Arbeitsproduktivität weltweit und auch in der Bundesrepublik seit 1972 erheblich zugenommen hat, dürfte unser Beispiel vom aktuellen Verhältnis von bezahlter zu unbezahlter Arbeit abweichen.

Was aber macht der Kapitalist/Eigentümer/Großaktionär mit den 700 Euro, die er sich vom Erlös der vom Arbeitenden produzierten Waren abgezweigt hat? Er ersetzt damit verschlissene Maschinen (oder veraltete Software, abgelaufene Lizenzen etc.), weitet seine Produktion durch den Kauf weiterer Maschinen etc. aus und verbraucht einen Teil für seine eigenen Bedürfnisse (Jachten, Luxusschlitten, Villen, ...).

Produktion von Mehrwert und kapitalistische Ausbeutung

Die Ware Arbeitskraft unterscheidet sich also von den anderen Waren darin, dass sie das mehrfache ihrer Herstellungskosten an Wert schafft. Sie schafft also Mehrwert.

Das Verhältnis von zur "Herstellung" der Ware Arbeitskraft notwendiger Arbeit und Mehrarbeit wird in der politischen Ökonomie "Mehrwertrate" genannt. An ihr misst sich auch der Grad der Ausbeutung. Daher würde die Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohn- und Personalausgleich die Mehrwertrate deutlich zu Gunsten der notwendigen (bezahlten) Arbeit verändern. Der Grad der Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft ginge zurück. Deshalb auch der entschiedene Widerstand der "Arbeitgeberverbände" (BDA/BDI und Konsorten) gegen jede Art der Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich.