Unverdienter Beifall

Wie sich eine Regierung entlarvt

Die Inzidenzzahlen sinken. In den Schulen findet wieder Präsenzunterricht statt. Restaurants und Cafés sind wieder geöffnet, im Außenbereich für jedermann, innen für Geimpfte und Getestete. Weitere Schritte auf dem Weg zurück zur Normalität wurden angekündigt. Ob die Pandemie damit wirklich schon überwunden ist, bleibt fraglich. Immer neue Mutanten tauchen auf und in weiten Teilen der Welt ist die Lage noch lange nicht so rosig wie bei uns. Trotzdem wage ich schon mal eine erste Bilanz.

Ich möchte mich nicht mit den Positionen der selbsternannten "Querdenker" aufhalten. Corona als weltweite Verschwörung anzusehen, taugt nicht einmal für einen glaubwürdigen Thriller-Roman. Nein, Covid-19 ist eine gefährliche Krankheit. Was sie anrichten kann, sehen wir in Ländern, in denen gute Gesundheitsvorsorge schon zu normalen Zeiten nur für eine wohlhabende Oberschicht zur Verfügung steht und wo es nicht annähernd genügend Plätze auf Intensivstationen gibt, zum Beispiel in Brasilien und in Indien.

Nun gibt es bei uns unter denjenigen, die Covid-19 ernst nehmen, die Tendenz, die Regierung für ihre "umsichtigen" Maßnahmen zu lobhudeln. Zu Recht? Schauen wir uns die Maßnahmen und ihre Folgen an! Aus Gründen, die sich virologisch kaum erschließen, gingen unsere Staatslenker spätestens seit Mai 2020 stabil davon aus, dass sich die Erreger in Schulen und Kitas, in Restaurants sowie bei privaten Feiern rasant ausbreiten, nicht aber in Fabrikhallen und Büros. In überfüllten Verkehrsmitteln im Berufsverkehr muss es die Maske richten.

Inzwischen arbeiten viele Werktätige im Home-Office. Dass das für die Betroffenen auch Nachteile hat, wurde viel diskutiert. Aber es kommen nicht einmal alle in diesen "Genuss". Wenn der Arbeitgeber begründet, dass es in seinem Betrieb nicht ginge, dann ist das eben so. Dann müssen selbst Menschen mit schweren Vorerkrankungen vor Ort erscheinen. Generell werden die Zustände in den Betrieben extrem selten unter die Lupe genommen und Mängel so gut wie nie sanktioniert. Sobald hingegen eine Oma allein auf einer Parkbank zu lange in der Sonne saß, konnte schon mal ein Bußgeld fällig werden. Die Kontrollen der Beamten betrafen fast immer Privatpersonen. Auch beim Schließen kultureller Einrichtungen taten sich die Behörden leicht, selbst wenn die Betreiber ein gutes Hygienekonzept vorlegten. Mit Theatern und Jugendeinrichtungen lässt sich zwar das Bildungsniveau steigern, jedoch meistens kein Profit erzielen. Das sind in der Regel Zuschussbetriebe. Es wird offensichtlich mit zweierlei Maß gemessen.

Wirtschaft geschützt

Diese Kritiken sind nicht originell. Ich weiß. Man liest sie in den Medien, immer mit Schuldzuweisungen gegen bestimmte Politiker. Doch haben die wirklich etwas "falsch" gemacht? Nein, sie haben gemacht, was sie immer machen und was ihrer Rolle in der kapitalistischen Gesellschaft entspricht. Sie haben die Wirtschaft geschützt und zwar in der Reihenfolge von groß zu klein. Die DAX-Unternehmen hatten überhaupt nichts auszustehen. Bei denen lief alles weiter wie geschmiert. Dem Handel, der sich traditionell vor allem auf kleine Geschäfte stützt, ging es da schon deutlich schlechter. Da wurde das Feld einem Riesen wie Amazon überlassen. Den vollen Lockdown bekamen die einfachen Bürger zu spüren. Die durften sich nach 21 Uhr nicht mehr auf der Straße sehen lassen.

Das Ergebnis spricht für sich. Der DAX stieg vom 29. Mai 2020 bis zum 28. Mai 2021 von 11.586 auf 15.519 Punkte - um satte 34% (!). Dem gegenüber stehen Kinder und Jugendliche, die an Lerninhalten und sozialen Erlebnissen so viel verloren haben, dass sie es vielleicht nie mehr aufholen können. Tausende kleine Familienbetriebe sind vom Konkurs bedroht. Ältere Menschen leiden, in die Isolation getrieben, unter Depressionen. Nein, das ist kein Versagen Einzelner, es hat Methode.

Profitorientierung

Vielleicht ist das Schlimmste überstanden. Können wir jetzt also aufatmen? Wirklich? Wir befinden wir uns im Weltmaßstab auf der besseren Seite. 75 Prozent des verfügbaren Impfstoffs haben sich zehn Länder gesichert, darunter Deutschland. Afrika wurde einmal mehr komplett abgehängt. Wenn sich die EU ausnahmsweise mal bereitfindet, einige wenige Chargen dorthin zu liefern, wird das als Großtat in den Medien ausgeschlachtet, obwohl es nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist.

Auch unser Gesundheitswesen ist vergleichsweise gut aufgestellt. Noch, muss man hinzufügen, denn unsere neoliberale Regierung arbeitet seit Jahren daran, das zu ändern. Die Krankenhäuser werden nach und nach privatisiert. Sie wirtschaften danach profitorientiert. Das bedeutet: Alles muss billiger werden und wird damit unweigerlich schlechter. Mangelnde Hygiene, überarbeitete Ärzte. Es geht abwärts. Und die nächste große Pandemie wird kommen, vielleicht in zwanzig Jahren. Wird unser bis dahin kaputt gespartes Gesundheitswesen dann genau so zusammenbrechen wie dieser Tage das in Indien? Niemand wird sich das so vorstellen wollen. Aber es wird genau so kommen, wenn wir das System nicht durchschauen und verändern. Und wenn wir weiterhin einer Regierung Beifall spenden, die es absolut nicht verdient hat.