Errungenschaft der Befreiung

Die Jüdisch-Palästinensische Dialoggruppe (JPDG) wollte am 12. September 2019 in den Räumen der Dachauer Caritas einen Vortrag zur "Rolle israelischer Lobbyorganisationen in der deutschen Politik" halten. Die Israelitische Kultusgemeinde protestierte dagegen, da die JPDG die "Boycott, Divestment and Sanctions"-Kampagne (BDS) unterstützt. Die Caritas kündigte daraufhin die zugesagten Räumlichkeiten. "Eine Handlung im vorauseilenden Gehorsam", die, wie zu erwarten, vom Landgericht München I zurückgewiesen wurde. Begründung des Gerichts: Es handele sich um "Meinungsäußerungen, die nach Artikel 5 des Grundgesetzes geschützt sind", schreibt der Holocaust-Überlebende Ernst Grube in einem offenen Brief.

Er habe "als Münchner Jude Entrechtung, Ausgrenzung und Verfolgung mit meiner Familie erlebt". Es sei "unsere zentrale Aufgabe, Entwicklungen und Vorgängen entgegenzutreten, die sich gegen die Errungenschaften der Befreiung von Faschismus und Krieg richten, darunter antisemitische, rassistische, antidemokratische, das Asylrecht verstümmelnde und kriegsfördernde Maßnahmen". Der 86-Jährige schreibt weiter: "Je älter ich werde, um so intensiver wird meine Erinnerung an erlebte Verfolgung, um so bedeutsamer sind mir die Errungenschaften der Befreiung, wie das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung. Die freie Debatte ist ein Grundrecht und unerlässlicher demokratischer Bestandteil gegen Rechtsentwicklungen, Verleumdungs- und Ausgrenzungsmechanismen. Dieses Grundrecht wirkt nur solange, wie es gelebt werden kann, wie es Räume gibt, in denen Menschen ihr Recht, sich mit wichtigen gesellschaftlichen Vorgängen auseinanderzusetzen, tatsächlich haben." Durch eine einstweilige Verfügung kann der Vortrag zu einem noch nicht genannten Zeitpunkt in den Räumen der Caritas stattfinden.

Aus: UZ Ausgabe vom 11.10.2019