Russland ist nicht imperialistisch

Viel ist in den letzten zwei Jahren über Russlands Rolle in der Welt debattiert worden, und vielfach ist Russland als neuer imperialistischer Spieler auf der Weltbühne dargestellt worden. Mancher hat sich Lenins Imperialismustheorie als Schablone genommen und festgestellt: Irgendwie passen diese Kriterien alle auf Russland. Russlands Außenpolitik ist nicht auf die Eroberung fremder Länder und Regionen gerichtet, sondern auf die Verteidigung der eigenen Souveränität, was eine militärische Komponente wie in Syrien beinhaltet. Russland ist kein Staat, der in der Liga der imperialistischen Hauptmächte mitspielt und nun auch sein Stück vom weltweiten Kuchen abhaben will. Die russische Bourgeoisie wäre das vielleicht gerne, die ökonomische Realität lässt das aber nicht zu. Der russische Staatshaushalt finanziert sich zu 50 Prozent vom Ausverkauf seiner Rohstoffe und bringt keine international konkurrenzfähigen Monopole hervor. Russland wird vom Westen seit über hundert Jahren als Beute betrachtet, eine entsprechende russophobe Propaganda ist seit Jahren massiv in deutschen Medien vorherrschend. Der russische Staat ist politisch nach wie vor labil.

Es gibt eine mit dem Westen kollaborationsbereite Schicht (Liberale). Das ist kein Kennzeichen einer imperialistischen Macht. Dazu passt, dass die fünf Hauptempfängerländer russischer Auslandsdirektinvestitionen Zypern, die Niederlande, die Jungferninseln, Luxemburg und die Schweiz sind. Dies hat nichts mit jenem "Parasitismus" zu tun, den Lenin beim imperialistischen Kapitalexport kritisierte: "eine Handvoll ... besonders reicher und mächtiger Staaten ..., die durch einfaches 'Kuponschneiden' die ganze Welt ausplündern". Lenins Schlussfolgerung: "Es ist Imperialismus, wenn einige der reichsten Staaten die ganze Welt unterdrücken", ein "Weltsystem kolonialer Unterdrückung und finanzieller Erdrosselung der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung der Erde durch eine Handvoll 'fortgeschrittener' Länder". Dies trifft auf die USA und die NATO-Staaten, die EU und Japan sowie die mit ihnen verbündeten Staaten zu. Die Interessen, die Russland verteidigt, sind von seinem Status als Rohstofflieferant diktiert, der stabile internationale Handelsbeziehungen braucht, aber keine Überfälle auf andere Länder. Beispiel Syrien: Den USA ist das Chaos dort herzlich egal, für Russland ist Stabilität dort essenziell. Die USA unterhalten weltweit über 700 Militärbasen, Russland nicht einmal 20. Und wenn man sich die Konfrontation an Russlands Grenzen anschaut, wird auch schnell deutlich, wer hier der Aggressor ist und wer in der Defensive. Als Stichworte seien hier nur genannt die NATO-Truppenrotation im Baltikum, an der sich die Bundeswehr in Litauen führend beteiligt, der Raketenschirm mit seinen Standorten in Polen und Rumänien, der Russlands Zweitschlagskapazität ausschalten soll, das NATO-Großmanöver Anakonda im Juni 2016, zeitgleich zum 75. Jahrestag des Überfalls Nazideutschlands auf die Sowjetunion. Innerhalb dieser Konfrontation bekommen die längst im Museum des kalten Krieges geglaubten Atombomben eine neue Aufgabe.

Björn Schmidt