Progressive Ursprünge hat die EU nicht

Kommunistische Parteien von vier Ländern diskutieren Kräfteverhältnisse in der Europäischen Union

Gespräch mit Günther Pohl (Internationale Kommission der DKP)

jW: Am 1. und 2. April werden Sie mit den Genossen anderer Länder über die EU diskutieren. Die DKP, die belgische PTB, die niederländische NCPN und die Kommunistische Partei Luxemburgs kommen in Münster zur jährlichen Vierparteienkonferenz zusammen. Auch die Partei der Arbeit der Schweiz wird dann anwesend sein, jedoch als beobachtende Organisation. In der Zeitung Ihrer Partei, der UZ, haben Sie bereits angedeutet, dass es durchaus unterschiedliche Ansichten darüber gibt, wer in der Europäi­schen Union den Ton angibt. Können Sie das bitte genauer ausführen?

Das haben wir während des Treffens im vergangenen Jahr festgestellt. Grob lässt sich sagen, dass die DKP und die Kommunistische Partei Luxemburgs eine ähnliche Haltung teilen. Wir sagen: In der Europäischen Union ist Deutschland die führende Kraft; die Bundesrepublik macht sich die EU zunutze, um ihre Interessen mit mehr oder weniger friedlichen Mitteln durchzusetzen.

Die niederländischen Genossen betonen hingegen die Rolle der USA in der EU stärker. Bis heute würden die Vereinigten Staaten in der Europäischen Union die Fäden ziehen. Das habe sich auch nicht deutlich durch die Zerschlagung des Sozialismus und das Erstarken des imperialistischen Deutschlands geändert.

Eine dritte Position bezieht die Partei der Arbeit Belgiens, die PTB. Sie spricht von einer tonangebenden "europäischen Bourgeoisie". Darunter versteht sie, dass die herrschenden Klassen verschiedener Länder praktisch zusammenarbeiten. Zwar sei daran auch das deutsche Kapital beteiligt, doch eben auch jenes anderer Länder - sie alle würden quasi im Gleichschritt gehen.

jW: Beginnen wir bei der Haltung der niederländischen Kommunisten. Welche Argumente bringen sie für eine Vorherrschaft der USA vor?

Auch sie haben analysiert, dass die Rolle Deutschlands in der EU stärker geworden ist. Doch sie führen verschiedene Beispiele für den Einfluss der USA an, darunter die Geschehnisse um die Zerschlagung der Jugoslawiens. Zwar sei diese von Deutschland angestrebt und vorangetrieben worden. Doch am Ende hätten die USA die Auseinandersetzung in einen Krieg der NATO umgewandelt, um Deutschland die führende Rolle bei den Vorgängen zu nehmen. Ähnlich betrachten sie auch den Ukraine-Konflikt.

Die DKP würde zwar zustimmen, dass natürlich US-Interessen eine große Rolle spielen. Doch betrachtet man die ökonomische Situation in der EU, dann wird man sehen, dass Deutschland längst dominierend ist. Schon die Durchsetzung des Euros bedeutete einen großen Erfolg für das deutsche Exportkapital.

jW: Und was halten Sie von der These der "europäischen Bourgeoisie"?

Natürlich gibt es nicht wenige Konzerne, die EU-weit oder gar weltweit agieren. Doch auch sie haben ihre Stammsitze. Wir kommen zu dem Ergebnis, dass weiterhin die nationalen Interessen vorherrschen. Das gilt sogar für Unternehmen wie Bayer oder Volkswagen. Nur ein Beispiel: Ihre deutschen Standorte gewichten sie in der Regel doch höher als jene in anderen Ländern.

jW: Sie treffen sich nun zum wiederholten Mal in dieser Runde. Was nutzt Ihnen die Konferenz bei solchen Meinungsverschiedenheiten?

Wir gehen ja nicht dorthin, um zu sagen: "Als DKP sind wir folgender Meinung, und die habt ihr nun zu übernehmen." Im Gegenteil: Wir wollen unsere eigenen Analysen schärfen. Nach und während des Treffens werden wir unsere Positionen überprüfen. Durch die Teilnahme der Partei der Arbeit der Schweiz wird die Konferenz noch um den Gesichtspunkt einer Organisation erweitert, deren Land nicht in der EU ist.

jW: Sind sich die Parteien denn einig, worum es sich bei der EU eigentlich handelt und welchen Charakter das Staatenbündnis hat?

In dem Punkt sind alle Parteien geeint: Die Europäische Union ist ein imperialistisches Gebilde. Sie hat ihre Ursprünge im Kalten Krieg und spielte eine ökonomische sowie politische Rolle dabei, den Sozialismus in Osteuropa zu beenden. Progressive Ursprünge, auf die sich manche linken Politiker gern beziehen, hat sie nicht. Da die EU in ihrem Kern nicht reformierbar ist, nicht in etwas Fortschrittliches umgewandelt werden kann, muss sie aufgelöst werden. Das bedeutet in der Konsequenz: Jede Partei müsste in ihrem Land fordern, aus der EU auszutreten.

Interview: jW 17.03.2017