Der Präsident und die Menschenrechte

Bereits vor seiner groß angekündigten Reise nach Kuba hatte USA-Präsident Barack Obama verbreiten lassen, er werde im Gespräch mit dem kubanischen Präsidenten Raúl Castro auch »die Menschenrechte« ansprechen. Das wäre eigentlich eine gute Idee, wenn es nicht im Sinne einer Drohung gemeint wäre. Denn Herr Obama ist nicht ins sozialistische Kuba gereist, um sich dort danach zu erkundigen, wie sich die Regierung, die kommunistische Partei, der kommunistische Jugendverband, die staatlichen Organe aller Ebenen und viele gesellschaftliche Organisationen darum bemühen, trotz widriger Umstände grundlegende Menschenrechte für möglichst alle Kubaner zu garantieren. Und er hat auch nicht die Absicht, sich danach darüber Gedanken zu machen, wie man zum Beispiel das Recht auf Arbeit, auf angemessenen Wohnraum, auf soziale Sicherheit, auf Bildung, auf Gesundheitsfürsorge oder gar die Gleichberechtigung der Frauen auch in den USA umsetzen könnte.

Nein, den Präsident dieses mächtigen kapitalistischen Staates interessieren alle diese Fragen überhaupt nicht, auch wenn er vollmundig verkündet, er wolle das kubanische Volk besser kennenlernen. Geht es nach den Verlautbarungen des Weißen Hauses, die in der gebotenen Unterwürfigkeit von Politikern und sogenannten Journalisten der »freien Welt« wiedergekäut werden, dann möchte Herr Obama sich auf Kuba vor allem mit sogenannten Dissidenten treffen, also mit Leuten, die mit der gesellschaftlichen Ordnung im sozialistischen Kuba nicht einverstanden sind. Da gibt es verschiedene Einzelpersonen und Gruppierungen, die zwar in der kubanischen Gesellschaft kaum eine spürbare Rolle spielen, die aber dafür umso häufiger in den westlichen Medien zitiert werden. Die meisten dieser Leute werden aus dunklen Kanälen finanziert, die sich zu den Geheimdiensten der USA zurückverfolgen lassen, aber sie bekommen auch Geld, materielle Hilfe und gut dotierte »Menschenrechtspreise« von der EU und aus deren Mitgliedstaaten. Im westlichen Ausland werden sie dann gern als Vertreter der »Zivilgesellschaft« präsentiert.

Dort herrscht auch jedes Mal große Empörung, wenn diese Leute, wie zum Beispiel die Berufsdemonstrantin Berta Solér und ihre »Damen in Weiß«, zu nicht angemeldeten Demonstrationen aufbrechen - wobei sich »nicht angemeldet« nur auf die kubanischen Behörden bezieht, nicht jedoch auf westliche Journalisten -, und sich dann kamerawirksam von Ordnungskräften festnehmen lassen. Im Unterschied zum EU-Partner Türkei geht die Polizei auf Kuba nicht mit kugelsicheren Westen, Maschinenpistolen, Knüppeln, Schutzschilden, Wasserwerfern und Tränengas gegen die Demonstrierenden vor, und die Festgenommenen sind schon wieder auf freiem Fuß, bevor die westlichen Medien darüber berichten können. Während das brutale Vorgehen türkischer »Sicherheitskräfte« gegen Andersdenkende hierzulande kaum eine Erwähnung wert ist, wird im Fall Kuba stets die Forderung nach »Achtung der Menschenrechte« erhoben.

Der kubanische Außenminister hatte angekündigt, dass sich die Vertreter Kubas gern mit dem USA-Präsidenten über Menschenrechte austauschen werden. Man kann sicher davon ausgehen, dass Raúl Castro seinen Gast aus den USA an die Allgemeine UNO-Deklaration der Menschenrechte erinnern wird, in der unter anderem ganz weit oben das Recht auf ein Leben in Frieden genannt wird - ein Menschenrecht also, das von den USA nicht nur im eigenen Land, sondern weltweit mit Füßen getreten wird.

Uli Brockmeyer, Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek