À propos "Gelbe Westen"

Solidarisch sein

Am 26.11.2018 veröffentlichte der französische Gewerkschaftler Diagne Roland einen Brief (1) an seine Kollegen von der CGT, in dem er sich mit der Bewegung der Gelbwesten und deren Bedeutung für die Gewerkschaftsbewegung auseinandersetzt. Die Gelbwesten seien "nach Lesart der Herrschenden eine Bewegung, 'die nicht organisiert ist und keinen Führer hat', um damit 'eine Vereinnahmung durch die extreme Rechte' zu suggerieren". Gleichzeitig stellt er fest, dass die Gewerkschaften plötzlich als verantwortliche Gesprächspartner anerkannt werden, obwohl die bürgerliche Propaganda bis dato komplett anti-gewerkschaftlich war.

Hier erkennt man sofort was den Herrschenden an der Bewegung nicht schmeckt: Sie haben keinen Ansprechpartner, den sie auf ihre Seite ziehen können und haben es mit einer amorphen Organisationsform zu tun, die schwer zu spalten ist. Roland zieht daraus den Schluss, dass man "an der Richtigkeit und Legitimität der Forderungen festhalten" und mit den Protestierenden "jenseits ihrer Überzeugungen, religiösen oder säkularen Weltanschauungen, persönlichen politischen Orientierungen" solidarisch sein müsse.

Breite Bewegung

Die Bewegung der "Gelben Westen" vereint Lohnabhängige, Rentner, Arbeitslose, prekär Beschäftigte, Handwerker, Landwirte, kleine Kaufleute, Unternehmer von kleinen und mittleren Betrieben etc. gegen die Verteuerung der Lebenshaltungskosten. Unter ihnen gibt es Menschen, die rechtsorientiert, sozialistisch, antiliberal-links, kommunistisch, anarchistisch oder in der Mehrheit ohne politische Zuordnung, ja sogar rechtsextrem sind." Roland hält es für einen Fehler, der Bewegung die Solidarität zu verweigern, nur weil Rechte versuchen an die Bewegung anzudocken. Vielmehr gehe es darum, dass man diese Stelle nicht unbesetzt lässt.

Überraschend war, dass die französische Regierung auf die Forderung einging, dies aber nicht zum Zerfallen der Bewegung führte, sondern dass sie weitgehendere Forderungen aufstellte, z.B. nach realistisch durchführbaren Referenden (2). Solche Forderungen entkräften sofort jeden Vorwurf von Rechtsextremismus. Es sind Forderungen, die sich "nur" auf Frankreich beziehen, aber universal formuliert und so sie in jedem Land anwendbar sind. Das manifestiert sich auf der Insel Reuion, wo die dortige Gelbwesten-Bewegung ein dreijähriges Einfrieren der Treibstoffsteuer und mehr Geld für öffentliche Dienstleistungen erstritt. Im lothringischen Dorf Commercy wurde am 27.01.2019 zu einer Versammlung aufgerufen: "Seit dem 17. November beteiligen wir uns vom kleinsten Dorf, vom ländlichen Raum bis zur größten Stadt an einem Aufstand gegen diese zutiefst gewalttätige, ungerechte und unerträgliche Gesellschaft. Wir lassen das nicht länger mit uns machen! Wir rebellieren gegen die hohen Lebenshaltungskosten, die soziale Unsicherheit und die Armut. Wir wollen für unsere Angehörigen, unsere Familien und unsere Kinder ein Leben in Würde. 26 Milliardäre besitzen so viel wie die Hälfte der Menschheit, das ist inakzeptabel. Teilen wir den Reichtum, nicht die Armut! Schluss mit der sozialen Ungleichheit! Wir fordern eine sofortige Erhöhung der Löhne, der sozialen Mindeststandards, der Zulagen und Renten, das bedingungslose Recht auf Wohnung und Gesundheit, Bildung und kostenlose öffentliche Dienste für alle." (3)

Nachdem es nicht gelungen ist die Bewegung mit Brotkrumen abzuspeisen, reagierte die Regierung sofort wieder mit brutaler Gewalt und Verleumdung (4).

EU-Wahl

Dass Gelbwesten zur EU-Wahl antreten wollen, wird in der Bewegung scharf kritisiert, weil sie damit "das Spiel von Macron spielen würden."

Die Kritiker haben damit sicherlich recht, denn den Gelbwesten ist es gelungen, Menschen, die schon lange mit der Politik abgeschlossen hatten, weil ihre Interessen nicht vertreten werden, wieder zu mobilisieren. Wie es weitergeht kann niemand sagen. Die Protestkultur in Deutschland ist eine andere, aber das muss ja nicht ewig so bleiben.

(1) www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=25436

(2) www.barth-engelbart.de/?p=205398

(3) www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=25635

(4) https://www.rubikon.news/artikel/franzosische-revolution-2-0