Die Unkaputtbaren

Am 4. und 5. Mai 1968 wurde die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) gegründet

Von Klaus Wagener

Der 5. Mai ist für Marxisten nicht irgendein Tag. 1818 wurde an diesem Tag Karl Marx in Trier geboren. 150 Jahre später, am 4. und 5. Mai 1968, kamen

214 Delegierte aus allen Ländern der alten Bundesrepublik zusammen, um zum zweiten Mal eine kommunistische Arbeiterjugendorganisation in Deutschland zu gründen, die sich auf diesen Karl Marx berief.

Arbeiterjugendorganisation, daß heißt Ruhrgebiet, Essen. Mehr Arbeiterstadt geht kaum.

Daß diese Neugründung notwendig war, hatte Ursachen. Eine davon war der scharfe Antikommunismus der Nachkriegsjahre. Um die Spaltung Deutschlands und die Westintegration der Bundesrepublik betreiben zu können, brauchte es massiv-durchschlagende Legitimationsmuster. Vor allem die Adenauer-CDU knüpfte dabei nahtlos an bewährte Propagandafiguren des deutschen Faschismus an: Russen- und Kommunistenangst. Linke Antifaschisten, zum Teil gerade den Gefängnissen und Lagern der Faschisten entkommen, fanden sich wieder auf der Anklagebank und im Knast. Am 19. September 1950 verfügte die Adenauer-Regierung ein Berufsverbot im öffentlichen Dienst für Mitglieder der VVN, der KPD und der FDJ. Am 24. April 1951 wurde die von der FDJ initiierte Volksbefragung gegen die Remilitarisierung als verfassungswidrig verboten - am 26. Juni die FDJ selbst. Und am 17. August 1956 folgte die KPD. Damit waren, elf Jahre nach dem Faschismus, Kommunisten in der BRD wieder illegal.

Polizeistaat BRD

Mit dem globalstrategischen Scheitern des Rollback in den 50er Jahren und der bundesdeutschen Rezession 1966/67 wurde eine Korrektur dieses innenpolitischen Hardlinerkurses notwendig. Die Verdrängung der faschistischen Barbarei durch das wirtschaftswundertrunkene Nachkriegsspießertum funktionierte bei einer zunehmend kritischeren Jugend nicht mehr. Die brutalen Verbrechen des US-Imperialismus in Vietnam zerfetzten die sorgfältig angepinselten Propagandafassaden des angeblich so freien und liberalen Kapitalismus. Der fragenden Jugend dämmerte mehr und mehr, daß die selbsternannten Wahrer der Menschenrechte jedem noch so brutalen Massenmörder mit Waffen, Geld und zur Not auch mit dem Militär den Rücken stärkten - wenn es nur gegen die Sowjetunion, gegen den Sozialismus ging.

Am 27. Mai 1967 besuchte der Schah die BRD. Die Sicherheitsvorkehrungen waren außergewöhnlich massiv. Trotzdem kam es zu Demonstrationen. Am 2. Juni 1967, in Berlin, schlugen dabei die "Jubelperser" - iranische Geheimdienstagenten - mit Knüppeln auf Demonstranten ein. Bei der gewaltsamen Auflösung ihrer Proteste durch die Berliner Polizei wird der Student Benno Ohnesorg von dem Polizisten Karl-Heinz Kurras erschossen.

Kurras 2007 im Stern: "Ich hätte hinhalten sollen, daß die Fetzen geflogen wären, nicht nur einmal; fünf-, sechsmal hätte ich hinhalten sollen. Wer mich angreift, wird vernichtet. Aus. Feierabend. So iss das zu sehen." Natürlich wurde Kurras freigesprochen. Die Polizeigewerkschaft hatte 60000 D-Mark für seine Verteidigung gespendet.

Als am 11. April 1968 auch Rudi Dutschke nach einer Hetzkampagne der Springer-Presse bei einem Mordanschlag schwer verletzt wurde, setzte eine starke politische Polarisierung ein. Die Zeit schien gekommen, politisierte Jugendlichen in einem marxistischen Verband zu organisieren. Schon im Januar hatte sich ein 30köpfiger Gründungsausschuß mit Rolf Priemer, Manfred Rosenbleck, Walter Möbius, Wolfgang Gehrcke u. a. konstituiert. Das Echo war vielversprechend. Bis zum 5. Mai hatten 1112 Jugendliche den Gründungsaufruf unterzeichnet. In 24 Städten der BRD hatten sich Regionalausschüsse gebildet. Nach dem Gründungskongreß der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend wurden die Wohnungen des Vorsitzenden Rolf Priemer und von Walter Möbius umgehend von der politischen Polizei durchsucht und SDAJ-Materialien sowie Unterlagen beschlagnahmt.

Die Gründung der SDAJ war in gewisser Weise die Probe aufs Exempel.

Kommunisten waren in Europa nach 1945 außer in der BRD allenfalls in den verbliebenen faschistischen Diktaturen verboten. Das paßte nicht besonders zur neuen Ostpolitik Willy Brandts. Zwar hatten sich die Herrschaftsstrukturen des BRD-Imperialismus weitgehend gefestigt, aber dennoch wollte man kein Risiko eingehen. Eine Rücknahme der Organisationsverbote kam auch für die Kiesinger-Brandt-Regierung nicht in Frage. Die stillschweigend akzeptierten Neugründungen standen (und stehen) unter dem Damoklesschwert des Nachfolgeverbots. Wie ernst es dabei auch die Sozialdemokratie meint, machte die Verabschiedung der Notstandsgesetze am 29. Mai 1968, kaum einen Monat nach dem Dutschke-Attentat, deutlich. Knapp ein Jahr später, am 12./13. April 1969, konstituierte sich, unter ähnlichen Bedingungen, mit der DKP auch wieder eine kommunistische Partei in der BRD.

40 Jahre Jugendpolitik

Der Versuch, die SDAJ als parteiunabhängigen Jugendverband zu formieren, geriet schon bald in schweres Fahrwasser. Am 20. August 1968 marschierten Truppen des Warschauer Vertrages in die CSSR ein. Eine klare Aussage des gerade einmal vier Monate alten Verbandes war gefragt. Seine Positionierung als internationalistischer Verband machte eine Unterstützung der Intervention notwendig. Damit war die SDAJ in der Linken der Bundesrepublik weitgehend isoliert und von sozialdemokratischer Seite als kommunistische Vorfeldorganisation stigmatisiert. Ein Dilemma, das sich bei einigen konterrevolutionären Manövern und sozialistischen Ungeschicklichkeiten (Biermann, Solschenizyn, Solidarnosc, etc.) wiederholen sollte.

Dennoch zählte die SDAJ am 13./14. Dezember 1969, auf ihrem zweiten Bundeskongreß, 10000 Mitglieder. Sie war in allen Bundesländern und allen größeren Städten vertreten. Mit dem Septemberstreik 1969, den Kämpfen gegen Reallohnabbau und Steuerumverteilung und der Auseinandersetzung um ein neues Berufsbildungsgesetz waren auch für die SDAJ die zentralen Arbeitsschwerpunkte benannt. Ihre Mitglieder waren die ersten, die sich - in Uniform - auf der Plattform "Soldat 70" gegen den Militarismus in der Bundeswehr organisierten. Der "Radikalenerlaß" unter Brandt 1972 und der "NATO-Doppelbeschluß" unter Schmidt 1979 waren weitere Herausforderungen, denen sich die Organisation, im Bündnis mit vielen anderen, offensiv stellte.

Die SDAJ-Führung erlag in besonderem Maße der Gorbatschow-Euphorie nach 1985. Als dann die letzten Festungen geschleift waren und der offene Ausverkauf begann, verließen nahezu alle Kader die Organisation. Die kommunistische Jugendorganisation überstand diese Phase nur knapp. So gab es nach 1989 eine Art dritten Neubeginn.

Heute kämpft die SDAJ in ihrer "Zukunftskillerkampagne" vor allem um ein Recht auf Bildung und Ausbildung für alle. Die Mitgliederentwicklung ist wieder positiv. Und es werden erste Erfolge auch im "Beitrittsgebiet" gemeldet. Von 1978 bis 1988 fand im Zwei-Jahres-Rhythmus das "Festival der Jugend" von SDAJ und dem Marxistischen Studentenbund Spartakus statt. 2008, zwanzig Jahre nach dem letzten Festival, lädt die SDAJ wieder zu einem "Festival der Jugend" ein. Diesmal in Köln unter dem Motto "Zeit zu kämpfen -Zeit zu feiern: Gemeinsam gegen Ausbildungsplatzmangel und Bildungsabbau" (festival-der-jugend.de).

Quellentext. Christian Geissler: Klassenkampf ist kein Freizeithobby

Die Gründung der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend fällt in eine Zeit, in der unsere westdeutsche Gesellschaft ihre Klassengesellschaft ja ziemlich offen zur Schau stellt. Eine Klassengesellschaft aber ist, sobald sie hinlänglich Bewußtsein von sich selbst erlangt, eine Klassenkampfgesellschaft. Daraus folgt, daß eine sozialistische Organisation - hier bei uns - sich allen Ernstes vor allem als eine Kampforganisation verstehen muß.

Wenn ich sage "allen Ernstes", dann meine ich damit, daß die jetzt hier Organisierten trotz ihrer Jugend von Anfang an werden lernen müssen, auf Romantik und auf naive Totalität zu verzichten. Klassenkampf ist nämlich kein Freizeithobby und auch kein buntes Abenteuer, sondern Klassenkampf ist, wenn ich die Sache richtig verstehe, der Existenzkampf von der ganzen Gesellschaft.

Das möge sich jeder, der heute hier einer sozialistischen Organisation zustimmt, jetzt einmal klarmachen. Denn die politische Kraft einer sozialistischen Organisation hängt immer wieder entscheidend ab vom kenntnisreichen und disziplinierten Klassenbewußtsein jedes einzelnen Genossen. (...)

Als Sozialisten sollten wir vor der Realität nicht die Augen verschließen, unser Gegner weiß sehr genau, was er will. Das heißt, er kennt seine Kräfte. Das sind Kräfte seiner Klasse.

In diesem Punkt können wir vielleicht ein bißchen von ihm lernen. Denn ohne definiertes Klasseninteresse, ohne neu definiertes, aus der jetzt hier gegebenen gesellschaftlichen Situation neu definiertes Klasseninteresse keine brauchbare politische Perspektive, ohne brauchbare politische Perspektive keine adäquate, d. h. massenhafte Organisation, ohne breite Organisation, ohne hart und klar definierte Solidarität zwischen Arbeiterklasse und der Intelligenz, zwischen Hochschule und Betrieb, kein wirksamer Kampf gegen den Klassengegner. (...)

* Rede des Schriftstellers Christian Geissler am 25. Mai 1968 auf der Gründungskonferenz des SDAJ-Landesverbandes Bayern in München

Junge Welt vom 26.04.2008